Historical Weihnachtsband 1992
seine Ruhe schon gestört war, würde sie schleunigst das Schlafzimmer verlassen.
Die Unruhe entstand jedenfalls nicht nur durch die ungelösten Fragen in seinem Hirn.
Er lauschte ihren regelmäßigen Atemzügen und konnte nicht einschlafen. Sein Name war Jones. Robert Jones. Er hatte eine Farm, war verheiratet, Vater einer Tochter und Soldat der Konföderation. Der Name kam ihm vertraut vor, obwohl er nicht ganz zu ihm zu passen schien. Und Farmer? Naja, so wie es hier aussah, hatte er in dem Beruf nicht gerade Erfolg. Vielleicht war er zu lange weggewesen.
Als Ehemann und Vater schien er schon mehr zu taugen. Frau und Tochter mochten ihn anscheinend. Und Soldat? Welcher Mann war das nicht in Zeiten wie diesen? Er hatte wohl Glück gehabt. Beim Fall von Fort Hatteras. Und später im Militärgefängnis von . . .
Ja, wo hatten sie ihn eigentlich hingebracht? Jedenfalls daran sollte er sich erinnern können. Die schwierigste Frage war jedoch, wie er es fertig gebracht hatte, sich eine Yankee-Uniform zu beschaffen und seine Bewacher zu veranlassen, ihn hierherzubringen, in sein eigenes Haus. Und wie war er die Kerle wieder losgeworden . . ?
Früher oder später würde er die Antwort finden. Er hatte schon davon gehört, daß Männer durch einen Schlag auf den Kopf, hohes Fieber oder die Druckwelle bei einer Explosion ihr Gedächtnis verloren. Meist hielt die Amnesie nicht lange an. So schnell vergaß niemand seine Familie oder gar sein ganzes Leben.
Es kam aber auch nicht alle Tage vor, daß ausgerechnet die eigene Ehefrau ihrem Mann eins auf den Schädel versetzte. Vielleicht hatte er deshalb einen Schock.
Andererseits, wer sich an eine Frau wie Sara Bell Jones nicht erinnerte, war imstande, noch viel mehr zu vergessen.
Das erste graue Licht der Morgendämmerung kroch langsam durch das kleine Fenster, und er betrachtete die Frau, die vorgab, mit ihm verheiratet zu sein. Sie bürstete sich gerade das Haar und steckte es zu einem Knoten zusammen. Heute würde er sicher mehr über sie herausbekommen. Immerhin hatte er es gestern ziemlich klug angestellt — auch wenn er Rüben nicht von Tomaten unterscheiden konnte.
„Habe ich dir erzählt, daß ich einer Frau begegnet bin, die genauso heißt wie du", hatte er gesagt.
„Noch eine Sara Jones", wunderte sie sich. Sie war gerade dabei gewesen, sein Bett zu machen. Er saß unterdessen auf dem Stuhl am Fenster und beobachtete sie bei der Arbeit. „Na ja, kein so seltener Name", sagte sie dann. „Immerhin kenne ich noch drei weitere Saras. Und Jones gibt es in der Gegend auch genug."
„Vielleicht hätte ich deinen Namen annehmen sollen, als wir heirateten", hatte er in scherzhaftem Ton weitergesprochen, um noch mehr aus ihr herauszubekommen.
Sie mußten beide lachen. „Dann hieße ich jetzt Sara Bell Bell", kicherte sie. Er hatte den Klang ihrer Stimme genossen. Genauso wie er sich nicht an ihr sattsehen konnte, wenn er sie bei ihren Haushaltspflichten beobachtete. Er hatte am Fenster gestanden, als sie ging, um das Maultier zu tränken und zu füttern und die alte Milchkuh und die wenigen Hühner zu versorgen. Sie hielt die Tiere in der Scheune, um sie vor Räubern und anderem Gesindel zu schützen — auch zweibeinigem, wie sie sagte.
Sara Bell Jones hatte etwas Sanftes, Warmes und Fürsorgliches an sich. Er wünschte, er könnte sich mehr an ihr gemeinsames Leben erinnern, an die Zeit, bevor er zum Invaliden wurde.
Eigentlich fühlte er sich gar nicht krank. Sara hatte jedoch darauf bestanden, daß er im Bett blieb. Mit der Begründung, er wäre noch zu schwach auf den Beinen nach dem Schlag, den sie ihm versetzt hatte. Gar nicht zu reden von der Zeit im Gefängnis.
Zum Kuckuck, so krank war er auch wieder nicht. Er sagte es ihr, als er ihr in die Küche folgte. Noch einmal würde er nicht im Bett frühstücken. Als er dann erfuhr, daß sie seine Uniform verbrannt hatte, spürte er allerdings doch, wie ihm die Knie weich wurden.
„Das war ein Fehler, Sara." Er wußte nicht, weshalb er so erschrocken war. Ganz gleich. Sie hätte es jedenfalls nicht tun dürfen.
„Ich weiß", entgegnete sie ruhig, während sie den zähen Teig aus Maismehl und Wasser zu flachen Fladen formte. „Der Stoff war fast zu schade dazu. Wo gute Wolle heutzutage so schwer zu bekommen ist. Aber ich wollte das Risiko nicht eingehen, daß jemand die Uniform sieht. Du könntest leicht für einen Spion oder sonst etwas gehalten werden."
„Und als was gelte ich, wenn ich immer in
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