Historical Weihnachtsband 1992
hatte er, ob nun freiwillig oder nicht, den ganzen Tag im Bett verbracht, während Sara seit dem Morgengrauen auf den Beinen gewesen war. Sie hatte Mais in dem alten Mörser zerstampft, Pfannkuchen gebacken, den Küchenboden geschrubbt, die Matratzen ausgeklopft und die Tiere versorgt. Außerdem mußte sie sich um Becky kümmern, die sie mit ihrer unbändigen Energie ständig forderte.
Heute hatte sie das Scheunentor aufgelassen, so daß er sie vom Haus aus beobachten konnte, wie sie müde und abgearbeitet auf dem Melkschemel saß —
den Kopf erschöpft gegen die abgemagerte Flanke der Kuh gelehnt — und versuchte, die letzten Tropfen aus dem Euter herauszupressen. Beim Frühstück hatte er auf die Milch verzichtet, damit Becky von dem wenigen, was da war, alles bekam.
Sara war müde. Deshalb verdiente er den Tadel und nicht sie. Er lag ausgeruht neben ihr, während sie den ganzen Tag geschuftet und ihn bedient hatte. Sie war schon draußen gewesen, um Holz zu hacken, als er sich noch wusch. Und bevor er in seine aus selbstgesponnener Wolle gewebte Hose steigen konnte, kam sie bereits mit dem ersten Armvoll Scheite zur Tür herein.
Außerdem war heute Heiligabend. Das bedeutete, daß sie vor dem Schlafengehen Weihnachtslieder singen und Beckys Strumpf aufhängen mußten. Als das Kind schlief, war sie noch einmal zurückgeschlichen, um den Strumpf mit einer Handvoll Nüsse und Rosinen, einem leicht fleckigen Apfel und einem roten Stoffpäckchen zu füllen.
Wie ein Schuft hatte er sich gefühlt, da er kein Geschenk dazulegen konnte, weder für Sara noch für Becky. Er lag den ganzen Tag im Bett und ließ Sara die Arbeit allein tun. Und jetzt war er auch noch verärgert, weil sie nicht stürmisch in seine Arme geflogen kam und ihn willkommen hieß.
Nein, er hatte kein Recht, sie um ihren wohlverdienten Schlaf zu bringen oder es auch nur zu versuchen . ..
Am nächsten Morgen wurde er von einem lauten Jauchzen wach. Bevor er überhaupt wußte, was los war, stürmte Becky ins Zimmer. „Daddy, Daddy, er ist gekommen. Mein Tisch. Genau wie du versprochen hast."
Es half nichts. Er mußte aufstehen und im Nachthemd zur Tür eilen. Dort bewunderte er mit ihr den hübschen Mahagonießtisch, der auf eine kindgerechte Größe zurechtgestutzt war.
Becky ergriff abwechselnd seine Hand und strich dann wieder über die glänzende Oberfläche der Tischplatte. Sie hatte überhaupt keine Augen für die roten Wollfaustlinge und das Puppenkleid unter dem Weihnachtsbaum. Können wir jetzt in das Lager gehen, Daddy?"
Das Lager?
„Becky, hör auf, deinen Vater zu quälen. Er ist noch krank."
Jetzt wurde es wirklich langsam Zeit, seinen beiden Frauen zu zeigen, daß er gesund und leistungsfähig wie jeder andere Mann war. Auf jeden Fall gesund genug, um Sara bei der nächsten Gelegenheit den Beweis zu liefern.
Ungelöst blieb allerdings seine Rolle in der Geschichte mit dem plötzlich aufgetauchten Tisch. Sara und Becky hielten seine ausweichenden Antworten für Neckerei.
Er beschloß, Sara ab jetzt bei der Arbeit zu helfen, auch wenn sie protestierte.
„Robert Jones", schalt sie ihn, „wenn du auch noch Hirnhautentzündung bekommst, werde ich mir das nie verzeihen. Ich habe schon zu viel auf dem Gewissen."
Er fragte lieber nicht, welche Sünden sie noch belasteten, außer der, ihren Ehemann um seine angestammten Rechte zu bringen. Statt dessen half er besser dabei, seinem Kind fröhliche und unbeschwerte Weihnachten zu bereiten. Sara und Becky lachten bald beide lauthals über seine aus dem Stegreif erfundenen Geschichten, und von Zeit zu Zeit fing er einen nachdenklichen Blick seiner Frau auf.
Es gelang ihm, sie tagsüber bei den schweren Arbeiten zu entlasten und durch seine Späße und Anekdoten abzulenken. Er konnte sich selbst nicht erklären, woher er all die Einfälle nahm.
„Robert, so warst du doch sonst nie", prustete Sara, als er ihr eine verrückte Geschichte über einen Hund, einen Hut mit Blumen und die Schwiegermutter seines Colonels erzählte und beide sich kichernd in die Augen sahen. Nur der Name des Oberst wollte ihm einfach nicht einfallen.
Draper? Oder Howard?
Ganz gleich. Er war mittlerweile fest entschlossen, seinen Gedächtnisverlust vor ihr geheimzuhalten. Sonst würde sie ihn erst recht wie einen Invaliden behandeln.
Dabei fühlte er sich überhaupt nicht mehr krank. Im Gegenteil. Wenn sie das Kind erst zu Bett gebracht hatten, würde er es ihr schon zu beider Befriedigung beweisen, oder
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