Historical Weihnachtsband 1993
sekundenlang inne, doch dann zwang sie sich weiterzumachen, bis sie den Verband festgezogen hatte. Als sie die Schweißtropfen auf Matthews Stirn sah, empfand Laura etwas wie Reue. Immerhin war es ihre Schuld, wenn er jetzt wieder litt. „Und nun hole ich dir Kaffee oder etwas Suppe."
„Nein." Er hielt ihre Hand fest, ließ sie aber sofort wieder los. „Was ich jetzt dringend nötig hätte, wäre ein guter, starker Whiskey."
„Es tut mir leid, aber Vater duldete keinen Alkohol im Haus."
Wenn Matthew sich nicht so elend gefühlt hätte, wäre er in Gelächter ausgebrochen. „Genau das habe ich mir schon gedacht. Dein Vater hatte etwas gegen Schußwaffen, und er hatte etwas gegen Whiskey, und er ließ keinen Zweifel daran, daß er auch etwas gegen mich hatte." Bevor sie ihm widersprechen konnte, machte Matthew eine abwehrende Handbewegung. „Verzeih, Laura, das hätte ich nicht sagen sollen. Dein Vater war ein guter Mensch, ein verdammt guter Mensch, und er tat recht daran, dich behüten zu wollen, besonders, wenn es sich dabei um einen Mann wie mich handelte." Ein längeres Schweigen hing zwischen ihnen. Endlich bat er: „In meinen Satteltaschen ist noch ein Rest Whiskey.
Hättest du etwas dagegen, wenn ich ihn austrinke?"
Wortlos hob Laura die Satteltaschen vom Fußboden auf und stellte sie auf das Bett.
Mit der gesunden Hand stöberte er darin, bis er die Flasche fand. Laura hatte hinausgehen wollen, doch als sie ihn unbeholfen mit dem Korken hantieren sah, hatte sie Mitleid und nahm ihm zu seiner Überraschung die Flasche ab. Nachdem sie offen war, beugte sich Laura vorsichtig über das Bett, nahm Matthews Kopf in die Armbeuge und setzte die Flasche an seine Lippen.
Er trank in tiefen Zügen und genoß die wohlige Wärme, die durch seine Glieder rieselte. Dabei fragte er sich im stillen, ob es tatsächlich nur die Wirkung des Whiskeys war und nicht etwa die behutsame Berührung dieser Frau.
„Möchtest du noch ein wenig?"
Matthew lag ganz still. Er wollte den Augenblick hinausziehen, da sie ihn zärtlich hielt, und atmete den Duft, der von ihr ausströmte und so verheißungsvoll lockte.
„Wenn es dir nichts ausmacht, Laura, würde ich gern eine Minute oder zwei warten und dann noch einige Schlucke trinken."
Sie bettete seinen Kopf wieder auf das Kissen und saß auf der äußersten Bettkante.
Es war schrecklich, Matthew so nahe zu sein, schrecklich und zugleich wunderbar.
Ihr war, als setzte der Herzschlag immer wieder aus, bevor er zu dem gewohnten Rhythmus fand.
„Mindert es den Schmerz?"
„Ein bißchen, ja."
„Dann bin ich froh."
Einige Minuten lang schwiegen sie beide, dann bat er, noch einmal trinken zu dürfen. Laura nahm wieder seinen Kopf und hob ein zweites Mal die Flasche an Matthews Lippen. Danach verkorkte sie die Flasche, er lehnte sich in die Kissen zurück und schloß die Augen. Laura krampfte sich bei seinem Anblick das Herz zusammen. Wenn es doch in ihrer Macht gelegen hätte, alle seine Wunden zu heilen!
Er hob den Blick und las die Besorgnis von Lauras Miene ab. Es rührte ihn, daß sie so mit ihm fühlte. „Du brauchst auch deinen Schlaf, Laura, warum gehst du nicht endlich zu Bett?"
Sie zog sich den Sessel heran und setzte sich. „Wenn du nichts dagegen hast, bleibe ich gern noch eine Weile hier."
Matthew schaute zur Zimmerdecke. Langsam begann der Whiskey zu wirken und betäubte die Schmerzen.
Laura brannte eine Frage auf der Zunge. „Du hast mir überhaupt nicht gesagt, Matthew, ob du . . ."
„Ob ich was, Laura? Was habe ich dir nicht gesagt?"
„Hast du . .." Sie fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen und nahm einen neuen Anlauf. „Bist du verheiratet?"
Er drehte ihr den Kopf zu und schaute sie an. „Es gibt keine Ehefrau. Ich glaube, ein Leben wie das meine, immer unterwegs, läßt keinen Platz für eine Frau und Kinder."
Laura fühlte sich sonderbar erleichtert. Wieder saßen sie eine Weile wortlos da.
Endlich brach er das Schweigen. „Erzähle mir, wie dein Vater gestorben ist!"
„Er ist vom Wagen geschleudert worden. Wahrscheinlich hat er das Gespann antreiben wollen, um vor einem aufziehenden Gewitter heimzukommen. Als die Pferde mit der Fuhre ohne ihn zurückgekehrt sind, bin ich ihn suchen gegangen. Er hat noch gelebt, aber ist nicht mehr bei Bewußtsein gewesen."
„Wie hast du ihn nach Hause gebracht?"
Laura sah eine Weile ins Feuer, schien tief in Gedanken verloren. „Ich habe ihn auf den Wagen gehoben und dann vom Wagen
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