Historical Weihnachtsband 1993
seine wilden Gewohnheiten abzulegen, dachte er nicht daran, seine Lebensweise zu ändern. Er war und blieb ein Revolverheld. Und irgendwo da draußen lauerte immer noch jener Mann, der ihn angeschossen hatte. Nach seinem Verhalten beim Kommen des alten Judd zu schließen, erwartete Matthew jeden Moment, daß sein Feind auftauchen würde.
Das Schneetreiben mochte zwar die Spuren verwischt haben, aber Bitter Creek war ein kleines Nest. Der Verfolger konnte ohne große Anstrengung seine Nachforschungen anstellen und herausfinden, daß sich Matthew nicht im Städtchen aufhielt. Dann blieben nur die Farmen in der Umgebung. Früher oder später würde er ihn also hier finden. Und dann .. . Sie richtete sich auf, hob den Kopf und spähte nach den Hügeln hin. Genau da draußen konnte der Fremde sich gerade aufhalten, sie beobachten und abwarten. Matthew hatte kein Recht, seine Schwierigkeiten über ihre, Lauras, Schwelle zu tragen. Aber es war ihm doch nichts anderes übriggeblieben, wies sie sich selbst zurecht. Er war nicht absichtlich vor ihrer Tür zusammengebrochen. Aber da es sich nun einmal so verhielt, befanden sie sich beide wohl in größter Gefahr.
Weg mit diesen beängstigenden Gedanken! Mühsam verscheuchte Laura Matthew Braden aus dem Sinn, füllte emsig die letzten Futtertröge und ging zum Stall zurück.
Dort musterte sie Zaumzeug und Wagengeschirr. Demnächst würden sie auseinanderfallen, und dann konnte sie nicht zum Schulhaus fahren. Dabei hatte sie so gehofft, dieses Wochenende alles notdürftig reparieren zu können. Wie aber sollte sie das schaffen, wenn sie daneben noch für Matthew kochen und seine Wunde versorgen mußte? Laura seufzte. Ein Mensch vermochte während eines Tages nun einmal keine Wunder zu vollbringen, jener Vorsatz mußte eben warten bis zum nächsten Sonnabend und Sonntag.
Später dann molk sie die Kuh und sammelte die Eier ein. Dabei fiel ihr auf, daß sie es so lange wie nur irgend möglich hinauszögerte, hineinzugehen und damit zu Matthew zurückzukehren. Im schwindenden Licht der frühen Abenddämmerung nahm Laura den Eimer mit der Milch auf und den Korb mit den Eiern und wandte sich entschlossen dem Haus zu.
Zu ihrer großen Erleichterung schlief Matthew. Sie betrachtete die Gestalt auf dem Bett eine ziemliche Weile. Das strubbelige Haar und der dichte Bart verliehen Matthew das Aussehen eines Mannes aus den Bergen. Der schwere Revolver neben seiner Linken und der Gewehrlauf, der rechts unter der Decke hervorragte, verstärkten noch den Eindruck des Gefährlichen. Immer schon hatten ihm seine Augen, diese dunklen Augen mit dem herausfordernden Ausdruck, etwas Geheimnisvolles verliehen. Was mochte hinter ihnen vor sich gehen? Matthew Braden war nicht der Mensch, der sich in die Karten schauen ließ, schon gar nicht, wenn es sich um sein Innerstes drehte. Eine Zeitlang zögerte Laura, schaute unverwandt auf ihn nieder und empfand eine Zuneigung, die sie bestürzte. Darum wandte sie sich schnell ab.
Es war kalt im Zimmer, überhaupt im ganzen Haus. So legte sie ein großes Holzscheit auf die noch glimmende Glut und sah zu, wie die Flammen sich langsam an der Rinde entlang fraßen. Nun erst ging Laura in ihr eigenes Zimmer und machte auch dort Feuer. Zuletzt schürte sie es noch in der Wohnstube, bis es überall gemütlich warm wurde. Schnell aß sie eine Kleinigkeit, ließ sich die Suppe schmecken, die während der ganzen Zeit auf dem Herd geköchelt hatte, und etwas von dem Apfelkuchen, den sie am Vortage gebacken hatte. Als sie satt war, holte sie wieder den Nähkorb und setzte sich an den Kamin.
Bald schon wurden ihr die Lider schwer. Immerhin hatte sie in der vergangenen Nacht nur wenig geschlafen. Deshalb räumte sie die Handarbeit weg und machte sich auf in ihr Schlafzimmer. Mit warmem Wasser spülte sie den Schmutz der Arbeit ab und schlüpfte in das dicke Nachthemd. Schließlich bürstete sie das Haar. Gerade als sie die Petroleumlampe ausblies, wurde ein leises Stöhnen aus dem angrenzenden Raum hörbar. Ohne zu zögern, eilte sie hinüber und beugte sich über den Schlafenden, legte ihm die Hand auf die Stirn. Sie fühlte sich kühl an, und Laura flüsterte ein dankbares Stoßgebet. Da packte sie auf einmal sein starker Arm, und ohne Vorwarnung wurde sie blitzschnell auf das Bett herniedergedrückt.
„Matthew!" Mit einem gepreßten Atemzug stammelte sie seinen Namen.
„Du bist es, Laura? Großer Gott!" Er umfaßte ihre Schultern, hielt sie fest, als sie sich
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