Historical Weihnachtsband 1993
wegen ihres unschicklichen Betragens ausschalt. In ihrem Alter, tadelte er streng, sei es unanständig, die Röcke über die Knie hochzuschlagen.
„Aber Billy ist doch erst zehn, er denkt sich nichts dabei."
„Du hörst, was ich sage, Laura, und wirst es nie wieder tun."
"Ja, Vater." Wie sie es haßte, erwachsen zu werden! Einerseits hieß dies, daß sie zu alt war, um länger mit den Kindern zu spielen, andererseits jedoch noch zu jung, um an dem Gespräch der Frauen teilzunehmen, die den neuesten Klatsch austauschten.
Am Sonntag nach diesem Ereignis verließ Laura den Krämerladen auf der Suche nach etwas, das ihre Aufmerksamkeit fesseln
könnte. Die Frauen waren damit beschäftigt, einige Ballen Stoff in Augenschein zu nehmen, die erst geliefert worden waren, und der Vater stattete einem Farmer einen Besuch ab, der in der näheren Umgebung wohnte und einen Zuchtbullen hatte kommen lassen. Ziemlich am Ende des Städtchens lagen Purdys Mietstallungen. Als Laura, um sich die Zeit zu vertreiben, die staubige Straße entlang schlenderte, hörte sie Stimmen und wieherndes Gelächter. Neugierig ging sie um das Gebäude herum und blieb neben dem Bretterzaun stehen, auf dem einige junge Männer hockten. Sie ermunterten lachend einen Reiter, der versuchte, sich auf dem Rücken eines Pferdes zu halten, das wie wild bockte.
Völlig hingerissen, lehnte sich Laura an den Zaun und schaute zu. Der Reiter war kaum älter als sie, doch er saß auf dem Pferd wie ein Mann, der im Sattel geboren worden war. Das Hemd spannte sich um die Schultern. Die kräftigen Muskeln des Burschen verrieten, daß er schon Jahre schwerer körperlicher Arbeit hinter sich hatte. Wie schlank und wohlgebaut er war! Sein Hut flog durch die Luft, und das dunkle Haar wehte im Wind. Während die anderen Burschen pfiffen und brüllten, funkelten seine Augen vor Aufregung, und er lachte über das ganze Gesicht.
„Gleich wird er dich abwerfen, Matt. Bestimmt kannst du ihn nicht viel länger bändigen!"
„Das Pferd, das mich abwirft, ist noch nicht auf der Welt", spottete er.
„Heda, Junge, du wirst dir ganz schön blöd vorkommen, wenn du erst auf der Nase liegst."
„Daß dir die Worte im Hals stecken bleiben, Cal! Ich werde mit diesem Vieh schon fertig."
Das Pferd, die Augen weit aufgerissen, Schaum um die Nüstern, stieg hoch in die Luft und drückte sich um die eigene Achse, so daß Laura beim bloßen Zuschauen schwindelte. Obwohl die Vorstellung, daß hier Mensch und Tier verbissen gegeneinander rangen, Laura zuwider war, ertappte sie sich dabei, daß sie den Blick nicht abwenden konnte. Zu erregend war das, was sich da vor ihr abspielte, erregend und zugleich großartig. Sie bemerkte, daß der Reiter nun die um seine Linke geschlungenen Zügel allmählich anzog, während er sich mit der Rechten vorsichtshalber noch an der kräftigen Lederschlaufe am Sattelknauf festhielt, bis der Widerstand des Pferdes endlich erlahmte. Endlich zwang es der Bursche, verhalten durch den Paddock zu traben.
Der Reiter stieß ein übermütiges Lachen aus und winkte den anderen am Zaun zu.
Dabei traf sein Blick das Mädchen, das allein dort stand. Sekundenlang schauten sie einander in die Augen. Laura fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. Der Bursche im Sattel wirkte so selbstsicher und war so mutig. Betroffen von ihrer Reaktion auf einen Fremden, wandte Laura sich ab. Dabei bemerkte sie, daß das Pferd mit einem Male auf sie zustürmte, und war einen Moment wie erstarrt, so daß sie sich überhaupt nicht rühren konnte. Erst als die jungen Leute schrien und johlten, wich sie zurück und sah entsetzt, wie das Tier jäh stehenblieb. Der Reiter wirbelte durch die Luft, wurde über den Zaun geschleudert und landete im Staub, buchstäblich zu Lauras Füßen.
Die Umstehenden rissen grölende Witze, nur er lag ganz still da. Laura hatte aufgeschrien und beugte sich zu ihm nieder. Lieber Gott, betete sie im stillen und berührte sacht die Schulter des Burschen mit der Hand. Lieber Gott, hilf, daß er nicht tot ist! Immer noch regte sich der junge Mann nicht, nicht einmal, als Laura ihn schüttelte. Tränen traten ihr in die Augen, und sie wandte sich den anderen zu, die ungerührt auf dem Zaun hockengeblieben waren.
„Wie könnt ihr bloß dasitzen und nichts tun, wenn euer Freund vielleicht tot ist?"
Die Zuschauer machten ratlose Gesichter.
„Er tut doch nur so. Matt", rief einer und unterbrach die drückende Stille. „Komm, steh schon auf!"
„Und
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