Historical Weihnachtsband 1993
ich sage euch, er ist tot!" Laura kniete im Staub nieder, ohne auch nur im entferntesten zu bedenken, daß die Mutter schelten würde, wenn sie, Laura, sich das Sonntagskleid beschmutzte. Und erst der Vater! Wenn der herausfand, daß seine Tochter bei dem Mietstall gewesen war in Gesellschaft einiger Rabauken, würde er toben. Das alles bedeutete nichts neben diesem wagemutigen jungen Mann, der ihr zu Füßen lag.
Als sie jetzt behutsam über sein Gesicht strich, öffnete er die Augen. Das Lachen, das er die ganze Zeit so sehr zurückgehalten hatte, brach sich Bahn. "Ätsch, habe ich dich angeschmiert?"
„Oh!" Laura sprang auf und wich einige Schritte von ihm zurück, bevor sie kehrtmachte und davonlief.
Sofort war auch er auf den Beinen und rannte ihr nach, gefolgt von dem Gelächter und Gebrüll seiner Kumpane. „Es tut mir leid", schrie er und versuchte, sie einzuholen. „Ich wollte dir keinen Schrecken einjagen."
Sie rang nach Atem, blieb stehen und schaute ihm ins Gesicht. „Warum hast du etwas so verrückt Gefährliches überhaupt getan?"
„Ich hätte sonst nicht gewußt, wie ich dich kennenlernen sollte."
Ihr blieb fast die Sprache weg. „Du meinst, du hättest dich vom Pferd abwerfen lassen, bloß um . . .?"
Er nickte. „Ich hab dich da stehen gesehen und gefürchtet, du könntest gehen, bevor ich mit dem blöden Gaul fertig bin, und da ist mir gerade nichts Besseres eingefallen."
"Aber du hättest dir das Genick brechen können."
„Mich haben schon unzählige Pferde abgeworfen, ein paar Schrammen mehr oder weniger, was tut es schon?" Er tat Lauras Einwand mit einer geringschätzigen Bewegung ab.
Eine kurze Weile schaute ihn Laura an, dann drehte sie sich um und wollte sich schnellstens in Richtung des Krämerladens entfernen.
Der Bursche hielt mit ihr Schritt. „Mein Name ist Matthew Braden. Und wie heißt du?"
Sie preßte die Lippen heftig zusammen.
„Willst du mir wohl nicht verraten, was? Ich wette, du hast einen hübschen Namen, denn du bist das allerhübscheste Mädchen, das ich je gesehen habe."
Wieder fühlte Laura, wie ihr das Blut in die Wangen schoß.
„Wohnst du hier in Bitter Creek?"
Sie biß die Zähne zusammen. Nein, er war wirklich zu frech. Sie durfte ihn einfach keiner Antwort würdigen.
„Kommst du oft in die Stadt?" fragte er weiter.
Sie sprang über einen Stein, der auf der Straße lag, und setzte wortlos ihren Weg fort. Schon sah sie weiter vorne die Eltern auf dem Wagen sitzen. Der Vater schaute auf seine Taschenuhr.
„O Gott, ich habe mich verspätet!" Laura raffte die Röcke und begann zu laufen.
Dabei fühlte sie immer noch den Blick des Burschen im Rücken. Doch so sehr es sie drängte, sich umzudrehen und einen letzten Blick von ihm zu erhaschen, sie eilte weiter und erreichte endlich den Wagen.
„War das nicht einer der Braden-Brüder, mit dem du geredet hast, Laura?"
"Ja, Vater." Sie zog die Stirn kraus, und die Eltern tauschten besorgte Blicke.
„Die Bradens sind noch neu in Bitter Creek", sagte der Vater ruhig. „Aber es gibt schon eine Menge Gerüchte über sie. Sie sind ein wilder Haufen. Nicht gerade gute Farmer, wie man hört. Wenn sie nicht bald eine feste Hand zu spüren bekommen, werden sie demnächst Schwierigkeiten haben. Es wird nicht lange gut gehen. Denen bleibst du besser aus dem Weg."
"Ja, Vater." Laura stieg auf den Wagen und setzte sich auf einen Sack mit Mehl.
Gleich daraufwar das Städtchen ihrem Blick entrückt. Doch als Laura an diesem Abend zu Bett ging, sah sie immer noch die lachenden dunklen Augen Matthew Bradens vor sich.
Am folgenden Sonntag nahm sich Laura fest vor, den jungen Narren keines Blickes zu würdigen, der sich ihr vor die Füße geworfen hatte. Doch kaum waren sie mit dem Wagen in Bitter Creek eingefahren, so konnte sie an nichts mehr denken außer an Matthew Braden. Später, als sie dann neben den Eltern in der Kirche stand, empfand sie ein erregendes Gefühl der Erwartung, während sie ein Lied aus dem abgegriffenen Gesangbuch anstimmten. Und dann wußte sie es sofort, spürte es, ohne sich umdrehen zu müssen, daß Matthew Braden sie, Laura, anschaute. Obwohl sie während des langen Gottesdienstes nur nach vorne sah, fühlte sie den Blick der dunklen Augen auf sich gerichtet.
Als sie endlich zwischen den Eltern das Gotteshaus verließ, standen die Braden-Brüder unter den Zweigen eines knorrigen alten Baumes beisammen. Matthew hatte die Haare aus der Stirn gekämmt, das fadenscheinige Hemd war
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