Historical Weihnachtsband 1993
zurückhalten wollen.
Natürlich war es von vornherein selbstverständlich gewesen, daß Matthew davonreiten würde, sobald seine Verwundung halbwegs geheilt war. Auch hatte Laura immer gewußt, daß ihn stets Todesgefahr von ihr trennen würde, auch wenn sie sich bisher standhaft gewehrt hatte, darüber nachzudenken. Jetzt rannen ihr die Tränen unaufhörlich über das Gesicht, und sie wischte sich mit dem Handrücken immer wieder die Wangen ab. Wie töricht, sich einreden zu wollen, Matthew Braden könnte bei ihr, Laura, bleiben. Sie war wirklich bereits eine dumme alte Jungfer, sich in Phantastereien zu verlieren, sie könnte Matthew Braden halten, den Mann, der einer der gewandtesten Schützen in weitem Umkreis war. Wie mußte er sich doch über ihre Albernheit amüsieren! Nun weinte Laura um Matthew, weinte wegen des Lebens, das zu führen er sich entschlossen hatte, und um sich selber, weil sie das Glück einmal von fern gesehen und dann doch verloren hatte. Und sie weinte wegen der Eltern, die so sehr bemüht gewesen, aus ihrem einzigen Kinde ein Ebenbild ihrer eigenen Träume zu formen.
Endlich hatte Laura keine Tränen mehr, sie richtete sich auf, verriegelte die Stalltür hinter sich und wandte sich dem Haus zu. „Verzeih mir, Vater", flüsterte sie. „Aber obwohl ich weiß, wer und was Matthew Braden ist, werde ich ihn so schrecklich vermissen. Und ich würde alles darum geben, wenn ich ihn bloß überreden könnte, hier zu bleiben."
Matthew lehnte am Fenster und sah, wie die dunkle Gestalt den Stall verließ. Der Schnee wirbelte und wehte um sie und verlieh ihr ein feenhaftes Aussehen. Er blieb auch stehen, als er hörte, wie die Tür geöffnet wurde. Selbst aus dieser Entfernung bemerkte er, daß Lauras Augen rotgerändert und geschwollen waren. Flocken hingen an dem dunklen Haar gleich Diamanten. Sie schüttelte die Röcke, zog die Jacke aus und ging zum Kamin.
Nach einer Weile hatte sie die Hände gewärmt und wandte sich ihrem eigenen Zimmer zu, ohne Matthew anzuschauen. Sie wußte, daß es zu wehgetan hätte, und wollte sich den winzigen Rest ihres
Stolzes wenigstens bewahren, wenn ihr schon so wenig davon geblieben war.
„Ich wünsche dir eine gute Nacht, Matthew."
„Geh nicht, Laura!"
Sie blieb stehen, gönnte ihm aber immer noch keinen einzigen Blick. „Wir werden uns am Morgen voneinander verabschieden. Dann fällt es einem leichter."
„Nein." Er durchmaß rasch den Raum und faßte Lauras Arm, zwang sie, zu ihm aufzusehen. Als sie es tat, bot sich ihr ein Bild, vor dem die hartgesottenen Revolverhelden von Kansas bis Arizona Territory weiche Knie zu bekommen pflegten. Matthews Miene zeigte eiserne Entschlossenheit. „Es ist nicht aus zwischen uns beiden, Laura."
„Es muß sein."
„Nein, ganz und gar nicht."
„Vater hat immer gesagt..."
„Zum Teufel damit, Laura! Ich habe nicht die Absicht, mir ein weiteres der berühmten Zitate deines Vaters anzuhören. Dies hier ist nicht seine Sache, Laura, sondern geht nur dich und mich an."
„Es ist aber nichts zwischen uns, Matthew. Wir haben uns einmal geliebt, damals, vor Jahren. Aber es gibt keine gemeinsame Zukunft."
„Wir haben diese Nacht, Laura."
Seine leisen, halb geflüsterten Worte drangen in Lauras Sinne, ließen ihr einen Schauer über den Rücken rieseln.
„Ich könnte es nicht, Matthew." Sie wandte sich ab und schüttelte den Kopf, als müßte sie ihrer Abwehr Nachdruck verleihen. „Ich könnte es einfach nicht."
Er trat hinter sie, legte ihr beide Hände auf die Schultern. Indem er sie ganz eng an sich zog, sprach er leise auf sie ein: „Wenigstens diese einzige Nacht, Laura. Wenn wir schon kein gemeinsames Leben haben sollen, können wir wenigstens diese Nacht haben." Als Laura den Kopf hängen ließ, drehte Matthew sie zu sich herum.
Mit festen, starken Händen streichelte er ihren Rücken, und von jeder Berührung schien ein Feuer auszugehen, das sie zu verbrennen drohte. Er drückte sie immer inniger an sich und preßte die Lippen auf ihre nassen Lider. In ihr erwachte ein Gefühl der Lust, tief, tief im Innersten, dehnte sich aus und wuchs.
„Blutet dein Finger noch?"
„Was?" Ihr war so herrlich warm und wohl in seinen Armen, und sie konnte überhaupt keinen klaren Gedanken fassen.
„Dein Finger? Blutet er noch?"
„Oh." Sie schaute hinunter, als Matthew ihre Hand ergriff und an die Lippen führte.
Er küßte den zerstochenen Finger und ließ sie dabei nicht aus den Augen. Und dann, bevor sie
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