Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hitzetod

Hitzetod

Titel: Hitzetod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Pearson
Vom Netzwerk:
Messwein, nicht wahr?«
    »So ist es, Hochwürden.«
    Father O’Connell nickte. »So ist es. Und was meinst du, wäre es eine Sünde, davon zu trinken?«
    Jack nickte, und als ihm klar wurde, dass Father O’Connell jetzt zu der schwerwiegenden Angelegenheit kommen würde, lief er rot an und wand sich ein wenig auf seinem Stuhl.
    »Ja, Hochwürden, das wäre es vermutlich.«
    Father O’Connell betrachtete Jack eine Weile, und sein unbarmherziger Blick ließ den Jungen noch unruhiger hin und her rutschen. Dann hob er die Flasche an die Lippen und nahm einen kräftigen Schluck.
    »Macht mich das jetzt zum Sünder, Jack?«
    Der Junge war verwirrt; er wusste nicht, was er sagen sollte. Father O’Connell stellte die Weinflasche auf den Tisch und setzte sich wieder ihm gegenüber hin.
    »Kennst du die biblische Geschichte über die Hochzeit zu Kanaan?«
    Jack überlegte einen Moment; er wusste genau, dass er sie kennen sollte, irgendwie klang es vertraut, aber er wollte nicht bei einer Lüge ertappt werden.
    »Ich bin mir nicht sicher, Hochwürden.«
    »Die über Jesus auf einer Hochzeitsfeier, wo ihnen der Wein ausgeht und Jesus Wasser in Wein verwandelt. Erinnerst du dich daran?«
    Jack lächelte. »Ja, Hochwürden. Dad sagt immer, es wäre praktisch, so einen Trick zu beherrschen, vor allem um Weihnachten herum.«
    »Du hast die Fakten also wieder im Kopf? Jesus nahm einen Krug mit Wasser und verwandelte es in Wein für die Gäste und sich selbst.«
    »Ja, Hochwürden.«
    Mit einem Gesicht, aus dem alle Freundlichkeit schwand, beugte Father O’Connell sich wieder zu ihm vor. »Also war Jesus auch ein Sünder?«
    Das verwirrte Jack vollkommen; er schüttelte den Kopf und hätte am liebsten gar nichts gesagt, musste es dennoch versuchen.
    »Aber das war kein Messwein.«
    Father O’Connell zeigte auf die Flasche auf dem Tisch. »Das ist einfacher Wein, der noch nicht geweiht worden ist. Bei dir war es eine Sünde, ihn zu trinken, weil du ihn gestohlen hast. Aber im Ganzen gesehen ist es keine so große Sünde, oder?«
    Ratlos schüttelte Jack den Kopf. »Nein, Hochwürden.«
    »Was meinst du nun, was die Bedeutung des Weines ausmacht, Jack?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Es geht darum, dass wir alle Entscheidungen treffen müssen, Jack.«
    »Entscheidungen?«
    »Zwischen gut und böse.«
    »Meinen Sie, so wie zwischen dem Teufel und Jesus, Hochwürden? «
    »Wir kommen wieder zum Wein zurück, siehst du. Wenn dieser Wein geweiht worden ist, wird er zum Blut Christi, und dir ist klar, was das bedeutet?«
    »Ja, Hochwürden.« Schließlich lag seine erste heilige Kommunion noch nicht so lange zurück.
    »Das glaube ich nicht, aber ich werde es dir sagen. Es bedeutet ewiges Leben, mein Junge. Jesus ist der besonders gute Wein, der bis zum Schluss aufgehoben wird. Indem du ihn in der heiligen Kommunion annimmst, wird er ein Teil von dir und du wirst ein Teil von ihm.«
    »Ja, Hochwürden.«
    »Du musst die Entscheidung treffen. Das ganze Leben hindurch wirst du immer wieder vor Entscheidungen gestellt werden. Genauso wie du wählen kannst, ein Teil Jesu zu sein, kannst du nämlich auch das Gegenteil wählen. Als ich sagte, dass der Teufel unter uns wandelt und atmet und lebt, meinte ich, dass der Teufel menschlich ist. Er ist kein geheimnisvolles Tier mit Hörnern und einem roten Schwanz, das im Höllenschlund wohnt.«
    »Nein?«
    »Nein, mein Sohn. Er lebt in Ballydehob oder Luton. In New York oder Bombay oder Islamabad. Er ist wir. Er ist du oder ich, wenn wir ihn lassen. Verstehst du?«
    »Ich glaube ja, Hochwürden.«
    »Jetzt musst du dich also entscheiden. Du kannst weiterhin Wein stehlen und in Schlägereien und Schwierigkeiten geraten und den Teufel allmählich in dich hineinlassen. Oder dich entscheiden, das nicht zu tun.« Der alte Mann kam ihm ganz nah und sah ihm in die Augen. »Letzten Endes ist die Möglichkeit, sich zu entscheiden, nämlich das Einzige, was wir haben. Das ist es, was uns ausmacht.«
     
Delaney schluckte kräftig und sah den Mann an, der vor ihm kniete. Er schaute in dessen flehende Augen, hörte das Rasseln seiner erschwerten Atmung und musste an Sinead denken, kurz bevor die Herz-Lungen-Maschine abgeschaltet wurde, als ihre mechanische Atmung ebenso schwer war wie bei dem Mann vor ihm. Er erinnerte sich an seinen unerträglichen Schmerz, als ihre Herzkurve auf dem Monitor flach wurde; er dachte an die Angst in den Augen seiner Tochter; er sah die geschundene, zerstückelte Leiche seiner

Weitere Kostenlose Bücher