Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
Kontaktlinsen machten – zusammen mit der Saharabräune, die zum Glück noch immer vorhielt – einen südländisch-attraktiven Typen aus ihm. Auf Sonnenbrille und Kappe hatte er hingegen bewusst verzichtet, um nicht verkleidet auszusehen, in solchen Dingen war weniger definitiv mehr. Außerdem war seine Aufmachung schon Verkleidung genug. Das verwaschene dunkelblaue Poloshirt, das er zu seinen schwarzen Jeans trug, suggerierte Außenstehenden, dass sie einen Fotografen vor sich hatten, der einfach nur seinen Job tat und selbst bei einem Anlass wie dem heutigen nur bedingt Zugeständnisse an die herrschenden Konventionen zu machen bereit war.
Wenn du erreichen willst, dass man dich nicht wahrnimmt, versuch auf keinen Fall, nicht da zu sein. Gib lieber vor, etwas zu sein, das du nicht bist!
Den genauen Ort des Begräbnisses hatte er dem Plan der Friedhofsverwaltung entnommen, und er war bereits gestern hier gewesen, um sich ein Bild von der Umgebung und den strategisch günstigsten Plätzen zu machen. Auf eine Feier in der Kapelle hatte die Witwe, vielleicht sogar auf Geheiß der Polizei, offenbar verzichtet. Also war vor einer guten halben Stunde der Wagen des mit der Beisetzung beauftragten Bestattungsunternehmens direkt durch das Haupttor gerollt. Die Grube, die Jan Portners Sarg aufnehmen sollte, war schon gestern mit grünem Kunstrasen ausgekleidet worden, daneben stand seit knapp zwei Stunden auch die obligatorische Schale mit Erde sowie ein Halter für den Blumenschmuck. Vermutlich würden sie dort den Kranz der Witwe aufhängen. Mitsamt der dazugehörigen Schleife, die Liebe und Trauer heuchelte, wo aller Wahrscheinlichkeit nach pure Erleichterung war …
O ja, nach allem, was er inzwischen wusste, konnte Irina Portner heilfroh sein, dass ihr Mann sich auf diese Weise davongemacht hatte!
Damian hob die Kamera ans Auge und blickte durch den Sucher zum Haupteingang des Friedhofs, von wo aus sich gerade die ersten Trauergäste auf den Weg herüber machten. Während er ihre Gesichter betrachtete, schmolzen die Geräusche in seiner unmittelbaren Umgebung nach und nach auf das verheißungsvolle Knistern eines Lagerfeuers zusammen. Er roch trockenes Gras. Rauch. Reste von Grillfleisch.
Ein Mai, fast so heiß wie dieser Sommer …
Und genauso trocken …
»Weißt du schon, was du mal machen willst?« Der Schein der Flammen lässt Flos Gesicht seltsam unscharf erscheinen.
»Du meinst später, nach der Schule?«
Sie nickt.
»Nein, keine Ahnung.«
Eine glatte Lüge, denn natürlich weiß er, was er machen will. Er ist keiner, der irgendetwas dem Zufall überließe. Aber er weiß auch, dass er nichts als Unverständnis ernten würde, wenn er von seinen Plänen erzählte. Übrigens nicht nur von ihr. Also behält er für sich, was er vorhat.
Seine Mutter besteht mit allem Nachdruck, zu dem sie noch fähig ist, darauf, dass er Abitur macht. Und wie immer hat er keinen Weg gefunden, ihr das abzuschlagen. Das bringt ihn fast um den Verstand, und mehr als einmal hat er mit dem Gedanken gespielt, einfach Schluss zu machen. Loszugehen, immer weiter, bis er umfällt. Aber er ist geblieben und zur Schule gegangen, und inzwischen kann er sich mit dem Wissen trösten, dass er nur noch ein paar Wochen durchhalten muss, bis es überstanden ist. Bis man ihm endlich das Zeugnis überreicht, seine Fahrkarte in die Freiheit.
Im Juni wird das sein. Und im August beginnt er seine Friseurlehre. Dagegen kann seine Mutter nichts haben. Immerhin
hat er ihrem Wunsch entsprochen. Und seine Noten sind erstaunlich gut. Fast zu schade, um nur Friseur zu werden. Den Salon, der seine Ausbildung übernimmt, hat er bereits ausgesucht. Die Chefin ist eine ordinäre, aber herzensgute Blondine, der er erfolgreich weisgemacht hat, stockschwul zu sein und keine Ahnung zu haben, wo er mit sich hin soll. Das Ergebnis ist eine Mischung aus Mitleid und mütterlicher Fürsorge, die ihn bequem über die kommenden drei Jahre tragen wird. Und diese Jahre sind nötig, um das nächste Etappenziel anzugehen: Maskenbildnerei. Tarnung in jeder Form hat ihn schon immer fasziniert. Vorzugeben, etwas zu sein, was man nicht ist.
Harmlos, zum Beispiel …
»Aber du studierst doch, oder?«, reißt Flos magere Mädchenstimme ihn abrupt aus seinen Gedanken, und am liebsten würde er ihr einfach den Mund zuhalten.
»Vielleicht«, antwortet er ausweichend.
»Ich schätze, ich auch.«
»Aha.«
Ihre Augen betteln förmlich
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