HMJ06 - Das Ritual
erreichte. Er tastete auf der Sitzfläche herum und fand das Kästchen.
»Da ist es!«, rief er. »Gott sei Dank!«
Während er das sagte, verstaute er das Etui in der linken Brusttasche und holte dafür seinen Zwilling aus der rechten heraus. Er hatte die Mulden im ersten Etui mit glänzenden, echten Prachtstücken gefüllt, die jedermann allein schon wegen ihres Gewichts als wertvoll einstufen würde. Doch wenn Foster die Jahreszahlen darauf sah, würde er erkennen, dass sie alt waren. Und da er sich bei sitters-net.com über Matthew West informiert hatte, würde er annehmen, dass sie auch sehr selten waren.
Das zweite Etui hingegen hatte er mit Angelblei gefüllt.
»Scheiße, das war knapp!«, sagte Fosters Stimme. »Aber die Mühe hat sich gelohnt. Du solltest wirklich sehen, was sich in dem Etui befindet. Goldmünzen. Aber keine Krügerrands, sondern alte Sammlerstücke. Die müssen ein verdammtes Vermögen wert sein. Überleg dir was. Wir müssen diese Münzen in die Finger kriegen!«
Während Jack zu dem matt leuchtenden roten Kreis um den Tisch zurückkehrte, bemerkte er einen Ausdruck von Konzentration und tiefer Entrücktheit im Gesicht Madame Pomerols, während sie ihrem Mann zuhörte.
Wahrscheinlich hatte sie ursprünglich die Absicht gehabt, ihren Kunden zu schelten, doch nun zeigte sie Jack ein warmes, mütterliches Lächeln.
»Sehen Sie, Monsieur Butler? Es gab keinen Grund, sich aufzuregen. Fühlen Sie sich jetzt ein wenig besser?«
»Viel besser.« Er setzte sich und nutzte diesen kurzen Moment, um das Bündel dreißig falscher Hundertdollarscheine aus dem Sakkoärmel zu ziehen und in seinen Schoß zu legen. Dann legte er beide Hände auf den Tisch und umklammerte gleichzeitig das Etui. »Das Ganze tut mir schrecklich Leid. Ich weiß gar nicht, was über mich gekommen ist. Ich glaube, ich habe es nur plötzlich mit der Angst zu tun bekommen. Sie wissen schon, wegen der Dunkelheit bei der Seance und so.«
»Das ist absolut verständlich, vor allem da es doch Ihr erster Besuch ist.« Sie legte beide Hände auf die Augen. »Ich habe mit Ihrem Onkel Kontakt aufgenommen.«
Jack schoss von seinem Stuhl hoch. »Wirklich? Kann ich mit ihm reden?«
»Die Verbindung wurde unterbrochen, als Sie den Tisch verließen.«
»O nein!«
»Aber das ist nicht so schlimm. Ich kann den Kontakt wiederherstellen. Nur war es keine gute Verbindung, daher muss ich erst noch einige Fragen stellen.«
»Schießen Sie los.«
»Der zweite Name Ihres Onkel war Thomas, nicht wahr?«
»Wissen Sie, ich glaube, er war es. Ja, Matthew Thomas West. Woher wissen Sie das?«
Sie lächelte. »Ihr Onkel hat es mir verraten.«
»Verdammt! Das ist ja richtig unheimlich.«
»Er schien sich über irgendetwas zu ärgern. Wissen Sie, was das sein könnte?«
Jack senkte den Blick und hoffte so auszusehen, als wäre er vor Schuld tief zerknirscht. »Ich glaube nicht.«
»Hat es vielleicht irgendwas mit der Erbschaft zu tun?«
Jack fiel offenbar aus allen Wolken. »Sie wissen das?«
Er wusste genau, dass er Foster davon erzählt hatte, dass er sich das Erbe mit seinem Bruder geteilt hatte. Aber üblicherweise vergaßen die Kunden leicht, dass ihr eigenes loses Mundwerk die Quelle der meisten Dinge war, die ihnen ein Medium erzählte.
»Natürlich, aber die Kommunikation war verzerrt. Es ging offenbar um Sie und um Ihren Bruder …«
Jack begann mit seiner Story. Sie stimmte mit allen bei sitters-net.com verfügbaren Informationen überein. Er hatte sie sich mehrmals durch den Kopf gehen lassen, hatte sie auf mögliche Ungereimtheiten abgeklopft und keinerlei Lücken entdeckt. Er hoffte, dass auch Madame Pomerol nicht fündig würde.
»Ja. Wir waren seine einzigen lebenden Verwandten. Unsere Eltern waren gestorben, und er selbst hatte keine Kinder.«
Keine Kinder, dachte Jack. Er muss als einsamer alter Mann gestorben sein, nachdem er sich immer wieder vergebens an spirituelle Medien gewandt hatte, damit sie einen Kontakt mit seiner verstorbenen Ehefrau für ihn herstellten. Aber das wird mir nicht passieren. Nicht jetzt …
Diese Erkenntnis entfachte eine warme Glut in seiner Brust.
»Monsieur Butler?«
Jack kehrte ruckartig in die Wirklichkeit zurück. Er war ganz woanders gewesen. Mein Gott. Das sah ihm gar nicht ähnlich. So etwas konnte er sich jetzt nicht leisten. Am Ende vermasselte er alles.
»Tut mir Leid. Ich dachte nur gerade an Onkel Matt. Nach seinem Tod wurde auf Grund des Testaments sein Vermögen zwischen
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