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HMJ06 - Das Ritual

HMJ06 - Das Ritual

Titel: HMJ06 - Das Ritual Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Paul Wilson
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alten Zeitungen.«
    »Aber ich würde es gerne von Ihnen hören.«
    Seine Augen verengten sich, und seine müde Stimme bekam einen scharfen Unterton. »Sind Sie ganz sicher, dass Sie Journalistin sind? Nicht vielleicht eine Polizistin?«
    »Nein. Wirklich nicht. Wie kommen Sie darauf?«
    Er lehnte sich zurück und starrte auf seine Hände, die gefaltet in seinem Schoß lagen. »Weil ich für eine Weile als verdächtig galt. Dot ebenfalls.«
    »Dot ist Ihre Frau?«
    »Dorothy, ja. Nun, sie war es. Wie dem auch sei, die Cops bekamen nichts heraus … Zu der Zeit damals waren die Zeitungen voll von Berichten über Satansbeschwörungen und rituellem Kindesmissbrauch und so weiter … Daher nahmen sie uns unter die Lupe und wollten wissen, ob wir uns mit solchem abartigen Zeug befassten. Gott sei Dank war das nicht der Fall, sonst hätten sie uns am Ende noch beschuldigt. Es ist zwar kaum denkbar, dass es bei dieser Geschichte für uns noch schlimmer hätte kommen können, aber genau das wäre es wahrscheinlich gewesen, nämlich viel, viel schlimmer.«
    »Also, wie ist es passiert?«
    Er seufzte. »Ich gebe Ihnen die kurze Version.« Er hob die Augenbrauen. »Wollen Sie sich keine Notizen machen?«
    Wie dämlich von mir, dachte sie und griff in ihre Schultertasche, um den Kassettenrecorder hervorzuholen.
    »Ich möchte das lieber aufnehmen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
    »Nur zu. Wir wohnten in Kensington. Das ist ein Teil von Brooklyn. Kennen Sie die Gegend?«
    Gia schüttelte den Kopf. »Ich stamme nicht aus New York.«
    »Nun, es klingt elegant, ist es aber nicht. Dort wohnt die alteingesessene Mittelschicht, also nichts Besonderes. Ich habe hier in der City bei der Chase Manhattan gearbeitet, Dot war Sekretärin bei der Schulbehörde für den Distrikt 20. Uns ging es gut. Wir wohnten in Kensington, weil es von dort zum Prospect Park und zum Green-Wood Cemetery nicht weit war. Ob Sie es glauben oder nicht, aber wir betrachteten den Friedhof als großes Plus. Es ist ein schöner Ort.« Er blickte wieder auf seine Hände. »Wenn wir woanders gewohnt hätten, wäre Tara vielleicht noch bei uns.«
    »Wie ist es geschehen?«
    Er seufzte. »Als Tara acht war, gingen wir oft mit ihr zu den Pferdeställen von Kensington in der Nähe der Exerzierplätze. Damit sie die Pferde sehen konnte. Nur ein kurzer Ritt, und schon war sie vernarrt in Pferde. Wir konnten sie nicht von dort fern halten. Daher ließen wir ihr Reitstunden geben, und sie entpuppte sich als Naturtalent. Ein Jahr lang ritt sie dreimal in der Woche – Dienstag- und Donnerstagnachmittag und Samstagvormittag. Donnerstags musste sie immer noch ein wenig warten, bis Dot erschien, um sie abzuholen. Wir haben ihr eingebläut, innerhalb der Stallanlagen zu bleiben, auf keinen Fall die Anlage zu verlassen. Und ein Jahr lang klappte es ganz wunderbar. Dann, eines Donnerstags, kam Dot, um sie abzuholen – und zwar pünktlich auf die Minute, möchte ich betonen –, und Tara war nirgendwo zu sehen.« Seine Stimme wurde brüchig. »Wir haben sie nie wiedergesehen oder irgendetwas von ihr gehört.«
    »Und es gab keine Zeugen, keine Hinweise?«
    »Weder das eine noch das andere. Wir erfuhren jedoch, dass sie nicht auf uns gehört hatte. Das Personal in den Ställen erzählte, sie wäre donnerstags immer für ein paar Minuten hinausgegangen und mit einer Brezel zurückgekommen – wie man sie auf der Straße bei diesen Verkaufswagen kaufen kann. Die Polizei fand auch den Händler mit dem Karren, der sich an sie erinnern konnte. Er sagte, sie wäre jeden Donnerstagnachmittag in ihrer Reitkleidung bei ihm erschienen, aber etwas Besonderes sei ihm an diesem Tag nicht aufgefallen. Sie hätte wie üblich eine Brezel gekauft und wäre zur Stallanlage zurückgelaufen. Aber dort ist sie nicht angekommen.« Er schlug sich mit der Faust auf den Oberschenkel. »Wenn sie doch nur auf uns gehört hätte!«
    »Wie war sie?«, fragte Gia. »Was hat sie außer Pferden sonst noch gemocht?«
    »Wollen Sie das wirklich wissen?«, fragte er und stemmte sich vom Sofa hoch. »Das ist einfach. Sie können es sich selbst ansehen.«
    Er umrundete das Sofa und gab Gia ein Zeichen, ihm zu folgen. Vor einem großen schwarzen Koffer mit Messingbeschlägen blieb er stehen und bückte sich. Er schleifte ihn ein paar Schritte näher zum Fenster und klappte den Deckel auf.
    »Da, sehen Sie«, sagte er und richtete sich auf. »Bitte sehr. Bedienen Sie sich. Das ist alles, was von meinem kleinen Mädchen

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