Hochgefickt
ich noch, bevor ich die Augen verdrehte und mich sanft gen Boden zusammensinken ließ.
»Hast du das drauf?! Hast du das alles drauf?!«, hörte ich Walli hysterisch fragen, während ich darauf wartete, dass irgendjemand wie ein normaler Mensch auf meine simulierte Ohnmacht reagierte. Bis der Tonmann mir endlich mal die Beine hochlagerte, mich aus meiner gespielten Ohnmacht wieder zu Bewusstsein brachte und einen Krankenwagen rief, war ich noch mal schön von allen Seiten abfotografiert und gefilmt worden, und auch die Untersuchung durch die Sanitäter (Blutdruck messen, Kochsalzinfusion) wurde natürlich im Bild festgehalten, während das Print- und TV-Team dabei »total verständnis- und rücksichtsvoll« das Set abbaute. Ich bestand darauf, in meiner Wohnung zu bleiben, und wehrte mich erfolgreich gegen eine stationäre Aufnahme im Krankenhaus, und als Walli sich von mir verabschiedete, hielt ich sie einen Moment zurück: »Walli, wir kennen uns doch schon länger, bittebitte, tu mir einen Gefallen: Halt das bitte alles noch zurück, bis ich noch mal mit Ralf gesprochen habe! Ich ruf dich morgen früh an, O.K.?«
»Ich gucke mal, was ich tun kann«, sagte sie jovial, bevor ihre Augen blitzten, »aber egal wie das weitergeht und von wem das Kind ist: Du kannst immer auf mich zählen, wenn du mit jemandem reden möchtest …!«
»Das ist gut zu wissen, Walli, danke schön!«, erwiderte ich, weil ich wusste, dass sie das völlig ernst meinte – nur eben weitaus professioneller, als die freundschaftliche Floskel vermuten lassen könnte.
Gut zwei Stunden nachdem alle Fremden die Wohnung endlich verlassen hatten, hörte ich den Schlüssel in der Tür und lief in die Diele, um Ralf um den Hals zu fallen.
»Oh Mannomannomann, bist du ein guter Schauspieler! Du könntest einigen Kollegen von mir Unterricht geben, das war unglaublich!! Ich fand’s super – was meinst du, haben sie es gefressen?«
»Hmmm«, zuckte Ralf seine Schultern, »also mein Handy klingelt nonstop, bei Sabine ist es genauso, unten vorm Haus stehen zwei Fotoreporter – ich sag mal so.« Er machte eine Kunstpause und setzte sein breitestes Grinsen auf: »Wie es momentan aussieht, könnten wir wohl die neuen Hitlertagebücher werden!«
Und was meinen sportlichen Ehrgeiz angeht: Wir schafften es zwar nicht bis in die Tagesschau, aber was nun aus den Hiphop-Mädels nach ihrem großen Krach auf der Pressekonferenz wurde, interessierte plötzlich kein Schwein mehr – die Sau, die jetzt durchs mediale Dorf gejagt wurde, hieß definitiv Lina Legrand. (Bekanntheitsgrad in der Bevölkerung am ersten Adventswochenende: 87 %)
19
Öffentliche Vatersuche
(November / Dezember 1997)
(Advent, Advent – schau, wen sie kennt …
hat sie mit dem wohl auch gepennt?)
Ich war extrem froh, dass ich meine Eltern schon lange in den Gesamtplan eingeweiht hatte, denn das, was nun in der Woche vor dem ersten Advent medial über mich hereinbrach, war noch gewaltiger, als ich spekuliert und erhofft hatte: Auf allen Kanälen und in allen Gazetten wurde der Skandal genüsslich ausgewalzt – zu Recht, schließlich hatten wir selbst ja dafür gesorgt, dass es erstklassiges Bild- und Tonmaterial gab. Bevor ich mich ausklinkte und fürs Erste bei meinen Eltern in der Eifel abtauchte, gab ich noch zu Protokoll, dass ich jetzt unbedingt zur Ruhe kommen und »mir über meinen weiteren Weg klar werden« müsse; Ralf hingegen verweigerte die gesamte Woche jedwede Stellungnahme zu dem ganzen Thema, und somit hatten die Medien genügend Spielraum, in alle Richtungen zu spekulieren.
Meine Eltern hatten sich extra frei gehalten und waren die ganze Woche zu Hause, um »ihrem Töchterchen beizustehen«, und gerade im Zusammenhang mit der medialen Berichterstattung muss ich sagen: Sie waren echt tapfer.
Gut, Renate und Günther hatten auch unabhängig von mir direkt nach ihrer Rückkehr aus Italien (sogar noch bevor ich ihnen die Tatsache steckte, dass sie Großeltern werden!) schon mit der Vorstellung geliebäugelt, beruflich bald deutlich kürzer zu treten, um einfach wieder mehr Zeit für sich zu haben und wieder mehr reisen zu können, so wie früher. Zwei große Faktoren, für die definitiv ich verantwortlich war, bestärkten sie dabei, diese Art der Zukunftsplanung tatsächlich als ihr konkretes Ziel für das kommende Jahr anzupeilen: Zum einen natürlich die Umstände, in denen ich mich befand, zum anderen die Umstände, in die ich sie mit meinem Verhalten und meinem
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