Hochzeit im Herbst
eng beschriebene Seiten, ich habe es ganz genau gesehen. Kein Umschlag. Nichts, was ihnen einen Hinweis darauf hätte geben können, woher er kam oder wie er mit Nachnamen hieß.” Sie atmete hörbar aus. „Nur der Vorname … Cameron.”
Shanes Augen wurden dunkel. „Das ist mein zweiter Vorname. Der Vorname meines Großvaters. Cameron James MacKade, Johns und Sarahs zweiter Sohn. Er wurde sechs Monate nach der Schlacht bei Antietam geboren.” Shane holte tief Luft. „Seitdem gibt es in jeder Generation der MacKades einen Cameron.”
„Sie haben ihr Kind nach dem Jungen benannt, den sie nicht retten konnten.” Hilflos wischte sich Rebecca die Tränen von den Wangen. „Sie haben ihn nicht vergessen, Shane. Sie haben alles getan, was in ihrer Macht stand.”
„Und dann haben sie ihn einfach in der Erde verscharrt.”
„Du darfst sie nicht dafür hassen, Shane. Sie haben getan, was sie konnten. Aber Sarah hatte Angst, sie hatte Angst um ihren Mann. Was glaubst du, was passiert wäre, wenn jemand herausgefunden hätte, dass sie einen feindlichen Soldaten auf ihrem Grundstück begraben haben? Sie mussten es so unauffällig wie möglich tun.”
„Ich hasse sie nicht dafür.” Plötzlich wachsam geworden, fuhr sich Shane mit der Hand übers Gesicht. „Aber es ist jetzt mein Leben, Rebecca, mein Land. Ich kann nicht ändern, was passiert ist, aber ich bin es leid, dass mich die Geister der Toten verfolgen.”
Sie reichte ihm die Hand. „Weißt du, wo sie ihn begraben haben?”
„Nein, ich habe mich nie darum gekümmert. Ich habe es verdrängt. Ich wollte nichts damit zu tun haben. Nie.”
„Und warum sprichst du jetzt darüber?”
„Ich weiß nicht.” In einer Geste der Resignation ließ er die Arme sinken.
„Ich sah ihn. Hinter dem Räucherhaus. Er lag im Sterben und hat mich angefleht, ihm zu helfen.” Wieder holte er tief Atem. „Es war nicht das erste Mal. Aber ich konnte nie darüber reden. Doch du wusstest es die ganze Zeit.”
„Sie haben ihn auf der Wiese begraben”, sagte sie leise. „Dort, wo die vielen Wildblumen wachsen.” Wieder griff sie nach seiner Hand und verschränkte ihre Finger mit seinen. „Komm mit, ich zeig es dir.”
Sie gingen zusammen hinaus auf die Wiese. Mittlerweile strahlte die Sonne hell vom Himmel und tauchte die Berge in ein goldenes Licht. In der Luft lag der Duft von Gras und Heu und Blumen. Als sie jetzt stehen blieb, ließ Rebecca ihren Tränen freien Lauf.
„Sie haben für ihn getan, was sie tun konnten. Nicht weit von hier hat ein Mann einen Jungen tödlich verletzt, nur weil dessen Uniform eine andere Farbe hatte als seine eigene. Diese Leute haben versucht, ihn zu retten, egal, ob er zur feindlichen Armee gehörte oder nicht.” Als sie sich nun gegen Shane lehnte, legte er ihr tröstend den Arm um die Schultern. „Sie haben versucht, ihm zu helfen.”
„Ja, das haben sie. Und sie können ihn noch immer nicht allein lassen.”
„Wir legen auf unseren Schlachtfeldern Parks an, um immer wieder daran erinnert zu werden”, sagte sie still. „Es ist wichtig, sich zu erinnern. Er braucht einen Grabstein, Shane. Sie hätten einen aufgestellt, wenn sie nicht solche Angst hätten haben müssen.”
War das nicht gut zu verstehen? Es war nur allzu menschlich. „In Ordnung.” Shane hörte auf, sich tausend Dinge zu fragen, und nickte. „Er soll seinen Grabstein bekommen. Vielleicht werden wir dann alle endlich Frieden finden.”
„Hier auf diesem Land gibt es viel mehr Liebe als Trauer, Shane”, sagte sie leise. „Und es ist dein Land. Du kannst sehr stolz sein auf das, was du hast und was du bist.”
„Ich hatte ständig das Gefühl, als ob sie versuchten, mich zu irgendetwas zu drängen. Die ganze Sache ließ mich nicht los, aber ich wollte es nicht. Ich tat einfach so, als wäre nichts.” Plötzlich fiel alle Last von ihm ab. „Ich wollte nicht mit ihren Problemen, ihren Gefühlen behelligt werden.”
Sein Blick schweifte über die Bergspitzen, die in lila Licht getaucht waren.
„Aber vielleicht war das ja falsch. Man kann seine Wurzeln nicht verleugnen.”
„Nein, das kann man nicht. Vor allem, wenn man seine Heimat so sehr liebt wie du, Shane. Irgendwann kommt die Stunde der Wahrheit.” Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn leicht auf den Mund. „Du bist ein guter, einfühlsamer Mann, Shane. Und ein guter Farmer. Ich werde dich nie vergessen.”
Bevor ihm klar werden konnte, was sie vorhatte, hatte sie sich
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