Hochzeit im Herrenhaus
schauen, weil sie fürchtete, wieder diesen warmen Glanz in seinen Augen zu sehen. So wie vorhin, als sie die Treppe hinabgestiegen und seinem Blick begegnet war …
Obwohl sie Leicestershire ziemlich überstürzt verlassen hatte, war sie dank ihrer umsichtigen Zofe nicht ohne ausreichende Garderobe in Bath eingetroffen.
Früher hatte Eliza Disher der Tochter eines ranghohen Aristokraten gedient und demzufolge eine hervorragende Ausbildung genossen. Deshalb wusste sie stets ganz genau, was ihr Schützling brauchen würde. Tüchtig wie eh und je, hatte sie mehrere Kleider für jede Gelegenheit eingepackt.
Und so fühlte sich Annis passend gekleidet und entsprechend selbstbewusst, während sie die Stufen zur Halle hinabstieg, wo sich Lord Greythorpe und seine Familie versammelt hatten. Ihr Kleid aus türkisfarbener Seide war unverkennbar die Kreation einer ausgezeichneten Schneiderin, die sich dezent und stilvoll an der derzeitigen Mode orientierte. Trotz des fortgeschrittenen Alters besaß Eliza immer noch geschickte Finger. Kunstvoll hatte sie das rötlich-braune Haar ihrer Herrin zu einem schimmernden Lockengebilde arrangiert und mit der Perlenspange geschmückt, die Annis’ Mutter vor vielen Jahren anlässlich ihres Debüts erhalten hatte. Dazu trug die junge Dame drei passende Schmuckstücke, ebenfalls aus Perlen, lange Abendhandschuhe und einen elfenbeinweißen Seidenschal.
Im Allgemeinen mit ihrer äußeren Erscheinung zufrieden, geriet sie niemals in die Versuchung, die Sünde der Eitelkeit zu begehen. Vielmehr unterschätzte sie ihr Aussehen. Sie hatte nie den Wunsch verspürt, als Schönheit zu gelten. Ebenso wenig war sie für die bewundernden Blicke der Gentlemen empfänglich, die sie seit ihrem siebzehnten Lebensjahr oft genug auf sich zog, oder für unaufrichtige Schmeicheleien.
Und doch – während sie zu Lord Greythorpe in die Halle hinabgegangen war, hatte das unverhohlene Entzücken in seinen dunkelblauen Augen ihr Herz so tief bewegt wie nichts anderes je zuvor.
Reiner Wahnsinn, solche Gefühle zu hegen, ermahnte sie sich energisch und starrte durch das Wagenfenster auf die Landschaft, die im schwindenden Tageslicht vorbeiglitt. Natürlich sollte sie die Anerkennung des Viscounts nicht so wichtig nehmen – aber sie bedeutete ihr trotzdem unendlich viel, das gestand sie sich ehrlich ein. Genauso wenig ließ sich bestreiten, dass sie ihn von Anfang an gemocht hatte. Danach war ihr kaum bewusst geworden, wie ihre Zuneigung stetig gewachsen war. Und jetzt zählte er zu den wenigen Menschen, deren Ansichten sie respektierte und schätzte.
Könnte sie sicher sein, die Hochachtung, die sie ihm entgegenbrachte, würde sich niemals in etwas anderes verwandeln, wäre ihr nicht so unbehaglich zumute. Bedauerlicherweise wusste sie nicht, ob es ihr gelingen würde, ihre Emotionen, die den Viscount betrafen, zu kontrollieren – und die sie zum ersten Mal in so beklemmender Intensität erfüllten.
“Tut mir leid, ich habe nicht zugehört”, entschuldigte sie sich, nachdem Sarahs Stimme die beunruhigenden Gedanken unterbrochen hatte.
“Meine Schwester hat nur deine Perlen bewundert und gefragt, wo sie gekauft wurden”, erklärte Deverel und zwang Annis, ihn anzuschauen.
“Bei Rundell and Bridge, nehme ich an”, antwortete sie. “Früher gehörten sie meiner Mutter.”
“Sehr schön”, meinte er und betrachtete die Kette, die ihren schlanken Hals schmückte. “Aber dank deiner Haar- und Augenfarben müsste dir jeder Schmuck gut stehen”, fuhr er fast versonnen fort. “Wahrscheinlich würden Smaragde am besten zu dir passen. Hm – sehr schade …”
Inständig hoffte sie, das Dunkel im Innern der Kutsche würde ihr Erröten verbergen. Aber es zeigte ihr deutlich die weißen Zähne, die Greythorpe lächelnd entblößte. Also war ihm ihre Verlegenheit nicht entgangen.
Zum ersten Mal seit langer Zeit fiel es ihr schwer, klar zu denken. Worauf hatte er mit seinen Worten hingewiesen? War es nur eine harmlose Bemerkung gewesen? Oder eine subtile Anspielung?
Falls er andeuten wollte, die Juwelen der Familie Greythorpe würden niemals meinen Hals, meine Handgelenke und Finger zieren, war dieser Kommentar völlig überflüssig, dachte sie bitter.
Ihre Verwirrung wich heißem Zorn. Bildete er sich etwa ein, sie hätte nicht schon längst verstanden, dass das Verhalten ihrer Mutter höchst unkonventionell gewesen war? Und dass die gehobene Gesellschaft die Tochter einer solchen Frau niemals als
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