Hochzeit im Herrenhaus
Gesellschaft verzichten musste. Niedergeschlagen beobachtete sie, wie die beiden einen Tisch in der Ecke des Zimmers ansteuerten, wo die Tochter des Hauses Hof hielt, und Platz nahmen.
Nur mühsam bekämpfte sie ihr Selbstmitleid und zwang sich, das fröhliche Gelächter zu überhören, das aus der Ecke des Raums drang. Dabei halfen ihr Toms amüsantes Geplauder und diverse Scherze auf Kosten seiner Schwester, die diese Hänseleien gutmütig hinnahm.
Ob ihr neues Selbstvertrauen an der besiegten Angst vor den Pferden lag oder an dem Wunsch, dem jungen Gentleman im roten Waffenrock zu imponieren, wusste Annis nicht. Jedenfalls konnte Louise ihre eben erst errungene Selbstsicherheit gut gebrauchen. Nach dem Dinner kehrte die ganze Gesellschaft in den Salon zurück, und das Mädchen wurde von der Gastgeberin um einen Vortrag am Pianoforte gebeten.
Annis ermutigte Louise mit eindringlichen Worten. Dann setzte sie sich neben Sarah, und Tom stand hinter ihnen, da es nicht genug Stühle für die Leute gab, die das kleine Konzert hören wollten. Aber nicht alle interessierten sich für die Darbietung. Mehrere Personen suchten das Spielzimmer auf.
Zunächst dachte Annis, auch Deverel würde sich als Kulturbanause erweisen. Aber dann sah sie ihn neben dem grauhaarigen Hausherrn stehen. Wie sein anerkennendes Lächeln verriet, wusste er die fehlerlose Darbietung seiner jungen Cousine zu würdigen. Errötend bedankte Louise sich für den Applaus und blieb nur zu gern am Pianoforte sitzen, um ihre Freundin, die älteste Tochter des Vikars, zu begleiten. Mit einem wohlklingenden Sopran gab die junge Dame eine Ballade zum Besten.
Auch ein Gentleman, den Annis nicht kannte, zeigte seine Künste an dem schönen Instrument, bevor sich die Tochter des Hauses erhob und in die Ecke des Salons ging.
In diesem Moment merkte Annis, dass Tom nicht mehr hinter ihr stand. Suchend schaute sie sich um, ohne Erfolg. Sie entschuldigte sich bei Sarah und verließ den Salon. Natürlich hatte das nichts mit dem unfreundlichen Wunsch zu tun, auf Miss Fanhopes Darbietung zu verzichten, sondern mit dem Verdacht, der junge Mr. Marshal wäre der Versuchung erlegen und ins Spielzimmer entflohen.
Diese Vermutung bestätigte sich, denn sie entdecke ihn tatsächlich an einem der Spieltische. Aber wie seine qualvolle Miene bezeugte, genoss er seine Rolle als Lady Fanhopes Partner bei einer Whist-Partie kein bisschen. Offenbar war er dazu genötigt worden.
Um ihn moralisch zu unterstützen, trat Annis hinter ihn und klopfte ihm auf die Schulter. Bald stellte sich heraus, dass Colonel Hastie die Fähigkeiten der Gastgeberin richtig einschätzte. Sie spielte miserabel. Immer wieder trieb sie Tom zur Verzweiflung.
Annis’ Interesse an der einseitigen Partie ließ allmählich nach, und ihr Blick schweifte zu einem anderen Tisch, an dem ein Spieler das Glück offensichtlich gepachtet hatte. Neben seinem Ellbogen ragte ein beträchtlicher Münzenstapel empor.
Plötzlich presste Annis eine Hand auf den Mund und schloss sekundenlang die Augen, um wenigstens kurzfristig zu verdrängen, was sie gesehen hatte. O nein, lieber Gott, betete sie stumm, nur
das
nicht …
10. KAPITEL
“V erdammt, Fanhope!”, rief der glücklose Gegner des Gentleman, der eine Partie nach der anderen gewann, und warf seine Karten angewidert zu Boden. “Wann immer ich mit Ihnen spiele, werde ich vom Pech verfolgt!”
“Dieses Gefühl kenne ich”, murmelte Tom, nur für Annis’ Ohren bestimmt, und animierte sie zu einem rätselhaften Lächeln.
Vermutlich würden die meisten Männer, die mit Charles Fanhope spielten, früher oder später aufstehen, unbelastet von prall gefüllten Börsen. Und Annis glaubte zu wissen, warum.
Wenn sie es auch nicht ahnte – die Entscheidung, die sie in den nächsten Minuten treffen sollte, würde ihren Lebensweg ändern. Unschlüssig schaute sie Charles Fanhopes letztem Opfer nach, das den Spielsalon erbost verließ. Sollte sie ihren Verdacht für sich behalten und Hampshire in drei Tagen verlassen, ohne irgendjemanden einzuweihen? Nicht einmal Lord Greythorpe? Nein, dagegen rebellierte ihr Gerechtigkeitssinn. Einem so niederträchtigen Betrüger musste sie das Handwerk legen.
“Mal sehen, ob wir die launische Glücksgöttin dazu überreden können, ihre Gunst jemand anderem zu schenken”, flüsterte sie Tom zu, bevor sie in die Ecke des Spielzimmers schlenderte.
“Ah, Miss Milbank!” Erstaunt hob Charles Fanhope den Kopf, dann entsann er
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