Hochzeit im Herrenhaus
vor dem nächsten Kontertanz ein blutjunges, schüchternes Mädchen aufforderte. Schließlich schien die Dame am Klavier Mitleid mit ihm zu empfinden, denn sie kündigte eine Walzerserie an.
Da verschwendete der Viscount keine Zeit, geleitete seine unbeholfene junge Partnerin zu ihrer stolzen Mama zurück und steuerte die Frau an, die er endlich über das Parkett wirbeln wollte. Mit keiner anderen würde er den Tanz genießen, der in seiner Generation immer populärer wurde. Allmählich hatten sogar die strengsten Matronen ihre anfängliche Missbilligung des, wie sie fanden, allzu intimen Tanzes aufgegeben.
Greythorpe fand Annis bei Sarah, Colonel Hastie und seiner schwatzhaften Gattin. Offenbar hatte sie ihren unerklärlichen Unmut mittlerweile überwunden, denn sie begleitete ihn bereitwillig zur Tanzfläche, nachdem sie – erstaunt über die Aufforderung – die Brauen hochgezogen hatte.
Erst als er einen Arm um ihre Taille schlang und ihre Hand ergriff, schien sie in Verwirrung zu geraten. Nein, er täuschte sich nicht – ein rosiger Hauch färbte ihre Wangen, und die graugrünen Augen starrten wie gebannt auf sein elegant gebundenes Krawattentuch. Erwartete sie, etwas Bedrohliches würde zwischen den Seidenfalten auftauchen? Beschleunigte Atemzüge hoben und senkten ihren Busen.
Zufrieden mit diesen aufschlussreichen Symptomen, unterdrückte der Viscount ein Lächeln. Da Annis zumeist gelassen und selbstbewusst auftrat, konnte man leicht vergessen, dass sie im Grunde eine unschuldige junge Dame war – unberührt, noch in Erwartung eines Lehrers, der ihr helfen würde, intimere Erfahrungen zu sammeln.
Eine reizvolle Aufgabe, die er natürlich selbst übernehmen wollte … Die Genugtuung, die er bei diesem Gedanken empfand, wurde allerdings von dem Verdacht beeinträchtigt, irgendetwas würde Annis bedrücken. Was es sein mochte, konnte er vorerst nicht ergründen, und so versuchte er sie von ihrem Kummer abzulenken. “Falls du zum ersten Mal in der Öffentlichkeit Walzer tanzt, darfst du dich nicht unbehaglich fühlen. Heute Abend wurden meine armen Zehen oft genug misshandelt. Daran sind sie inzwischen gewöhnt.”
Obwohl sie es nicht wusste, entzückte sie ihn mit ihrem Lachen, und er sorgte sich nicht mehr so sehr um ihre Gemütslage.
“Wie ich gestehen muss, habe ich die Bemühungen deiner verschiedenen Partnerinnen beobachtet, Deverel”, sagte sie, “und deine Langmut bewundert. Noch dazu, wo du laut Sarah nur selten das Tanzbein schwingst – eigentlich nur mit Miss Fanhope …”
“Ach ja, die gute Caro! Auf ihre hervorragenden Tanzkünste kann man sich stets verlassen, und ich wünschte, jede junge Dame würde sich so graziös bewegen.”
In diesem Moment erkannte Annis die Berechtigung des Sprichworts, es gebe für alles ein erstes Mal. Nie zuvor hatte sie diese heiße Eifersucht empfunden, die plötzlich in ihr aufstieg. Zum Glück konnte sie ihre Selbstkontrolle wahren und in beiläufigem Ton erwidern: “Natürlich bin ich nicht so geübt wie Miss Fanhope, aber sei versichert, Deverel, ich werde deine Zehen verschonen. Sogar in den Shires wird Walzer getanzt. Zufällig ist es einer meiner Lieblingstänze.”
Das bewies sie mit einer makellosen Darbietung, was jedoch zu einem beklagenswerten Versäumnis führte. Fest entschlossen, der anmutigen Caroline Fanhope nachzueifern, konzentrierte sie sich nur noch auf ihre Füße und ignorierte die Konversation ihres Partners.
Erst später, während er sie zu seiner Schwester zurückbegleitete, verfluchte sie ihren albernen Stolz, der sie daran gehindert hatte, den Tanz mit ihm zu genießen. Vielleicht wäre es ihr sogar gelungen, ihre heftigen, von Deverels betörender Nähe provozierten Herzschläge zu besänftigen, hätte sie nicht so verbissen bekundet, dass sie
keine
zwei linken Füße besaß. Sicher hatte Greythorpe den Eindruck gewonnen, eine Schneiderpuppe durch den Salon zu wirbeln. Kein Wunder, dass er sich sofort entfernte, ohne sie zu einem weiteren Tanz aufzufordern.
Ihre Enttäuschung ließ ein wenig nach, denn Tom kam zu ihr und bat sie um den Supper-Tanz. Danach geleitete er sie zur Tafel, wo sich Sarah, deren Begleiter und Louise hinzugesellten. In bester Laune genoss das Mädchen die Aufmerksamkeit eines schneidigen jungen Offiziers in einer eleganten Uniform.
An diesem Tisch war kein Platz mehr, als der Viscount an der Seite einer etwas älteren Dame in den Speiseraum schlenderte, und Annis bedauerte, dass sie auf seine
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