Hochzeit in Hardingsholm
anschließend schwer gegen einen Stamm gelehnt, fest davon überzeugt, keinen Schritt mehr gehen zu können.
Dann hatte ihn die Angst weitergetrieben. Wenn er hier zusammenbrach, den Kanister neben sich, würde jeder wissen, dass er der Täter war. Dieses Risiko konnte er nicht eingehen, und das hatte ihn wieder ein Stück weitergetrieben.
Ewig hatte er gebraucht, bis er endlich seinen Wagen am Waldrand erreicht hatte. Er hatte den Kanister in den Kofferraum geworfen und sich mit letzter Kraft auf den Fahrersitz fallen gelassen. Er hatte die Augen geschlossen, und dann war es plötzlich dunkel um ihn geworden.
Als er aufwachte, dämmerte es bereits. Es ging ihm kein bisschen besser, und noch lag die Heimfahrt vor ihm. Nur zwei Kilometer, wenige Minuten mit dem Auto, trotzdem erschien ihm sein Haus in seinem augenblicklichen Zustand unerreichbar.
Er warf einen Blick in den Rückspiegel und zuckte erschrocken zusammen, als er einen winzigen Punkt erblickte, irgendwo ganz hinten auf dem schmalen Weg zwischen den Baumstämmen. Der Punkt kam näher, und er erkannte schließlich, dass es sich um einen frühen Spaziergänger mit Hund handelte. Wenn der ihn hier sah … Es musste diesem Menschen doch seltsam vorkommen, dass hier an dieser Stelle zu dieser Zeit ein Auto parkte. Was, wenn er sich seine Autonummer merkte …
Er tastete nach dem Schlüssel, drehte ihn mit viel Mühe im Zündschloss herum und gab Gas, ohne die Scheinwerfer einzuschalten. Der Wagen machte einen Satz nach vorn, und der Motor stotterte, als er es nicht schaffte, das Gaspedal herunterzudrücken.
Wieder bildete sich Schweiß auf seiner Stirn, ließ ihn die Übelkeit würgen. Sein Magen fühlte sich an, als hätte jemand ein Messer hineingestoßen. Schlimmer aber war die Angst, erwischt zu werden.
Er atmete tief durch, konzentrierte sich darauf, mit mehr Gefühl Gas zu geben, und bemerkte erleichtert, dass der Wagen sich endlich vorwärtsbewegte. Ein Blick zurück in den Rückspiegel. Natürlich, der Hundebesitzer war auf ihn aufmerksam geworden und ebenso wie sein Hund stehen geblieben.
Er konnte das Gesicht des Mannes nicht erkennen, und so blieb ihm wenigstens die Hoffnung, dass es umgekehrt ebenfalls schwer war, das Kennzeichen seines Wagens auszumachen.
– 28 –
L ars war früh aufgestanden. Alle im Haus schliefen noch, als er leise die Haustür öffnete. Über Nacht hatte sich die Luft endlich ein wenig abgekühlt, und nun war es angenehm frisch.
Lars atmete tief ein und schlenderte in Richtung Wasser. Das Wasser schimmerte silbern in der Morgendämmerung. Das Rauschen des Meeres vermischte sich mit dem Gesang einer Amsel irgendwo in den Bäumen.
Lars hatte nicht schlafen können, hatte sich unruhig im Bett herumgewälzt und unentwegt darüber nachdenken müssen, dass sein Bruder und Linn heute heiraten würden.
Er hatte zuerst versucht, den Stachel der Eifersucht zu ignorieren. Aber dann war immer wieder das Bild des vergangenen Abends vor seinem inneren Auge erschienen, er und Linn beim Tanz, das Gefühl ihres Körpers an seinem, ihr Geruch, ihre Leichtigkeit. Das Gefühl, etwas Wertvolles verloren zu haben, hatte sich in ihm festgesetzt, und sofort hatte er auch den Impuls verspürt, aufzustehen und zu gehen. Aber er wusste nur zu genau, dass ihm eine Flucht nichts nützen würde, dass sie nichts verhindern würde. Und verhindern konnte und wollte er die Hochzeit nicht, ihm blieb nur, die Situation zu akzeptieren. Aber wie?
Langsam ging er nun am Wasser entlang, schmeckte die salzige Luft auf den Lippen, ließ das vertraute Gefühl zu, und mit ihm kamen die Erinnerungen.
Trotz des Fernwehs hatte er seine Heimat geliebt, dieses Bild hier immer tief in seinem Herzen getragen. Die Ostsee, an deren Ufer sich bewaldete Abschnitte mit felsigen abwechselten. Wiesen, die bis ans Wasser reichten, das immerwährende Rauschen der Wellen in den Ohren.
Er dachte an die glücklichen Zeiten seiner Kindheit, als er hier mit seinem Bruder und den Freunden herumgetollt war. An seine Jugend, als aus Freundschaft plötzliche Liebe geworden war.
Vielleicht hatten sie sich zu früh ineinander verliebt, er und Linn. Vielleicht hätten sie beide ihre eigenen Erfahrungen sammeln müssen, um zu wissen, wo sie beide hingehörten.
»Aber genau das haben wir doch gemacht, in den vergangenen fünf Jahren«, murmelte er vor sich hin. »Und es hat uns gezeigt, dass wir offensichtlich nicht zusammengehören.«
Er seufzte tief auf und blieb stehen,
Weitere Kostenlose Bücher