Höchstgebot
Aachener Tierpark ausgesucht hatte. Hierher verirrten sich nur wenige Besucher. Die meisten blieben auf den Hauptwegen, an denen Showstars wie Erdmännchen, Lisztäffchen oder Nasenbären gastierten, oder sie drehten an Luchsen und Kängurus vorbei die große Runde um den See.
Katja hingegen blieb misstrauisch und warnte Hinrichs eindringlich, er solle nicht versuchen, sie auszutricksen. Statt einer Antwort zeigte er auf zwei Schilder, die an der Voliere schräg gegenüber der Bank hingen. Groß gedruckt prangte da der Name Jens Hinrichs am Käfig eines ›Lachenden Hans‹ – ein, wie das zweite Schild verriet, australischer Jägerliest, dessen Ruf an ein menschliches Lachen erinnerte.
Micky machte ein paar Geräusche, um den nahe am Gitter auf einem Ast sitzenden Hans zu einer Antwort zu bewegen, aber der schaute sie nur regungslos an wie ein erfahrener Berufskrimineller im Verhör.
»Sie sind also sein Patenonkel«, sagte sie zu Hinrichs. »Weil er so still ist?«
»Er ist eine Sie und sie ist sonst gar nicht still«, verteidigte Hinrichs den Vogel. »Sie ist alt und ganz alleine hier. Die Jüngeren sitzen in der Voliere beim Haupteingang. Deshalb bin ich ihr Pate. Der Jägerliest ist ein treues Tier. Und er kann etwas, was ich auch gerne könnte.«
»Lachen?«, fragte Katja.
Hinrichs sah sie strafend an, ehe er seine Antwort an Micky richtete. »Die Aborigines glauben, dass Kindern zur Strafe ein schiefer Zahn wächst, wenn sie den Jägerliest beleidigen.«
»Dann hätten in Ihrer Nachbarschaft wohl eine Menge Kinder Zahnprobleme?«, fragte Micky scheinbar einverständig. Sie war fasziniert davon, wie sicher Hinrichs sich an diesem Ort fühlte. Zum ersten Mal gab er Persönliches von sich preis.
Hinrichs nickte und lachte leise in sich hinein.
Katjas Handy klingelte. Das Telefonat dauerte nur kurz und endete mit einem Dank. »Wir können loslegen. Der richterliche Beschluss liegt vor und die Abhöranlage ist geschaltet«, verkündete sie. »Setzen wir uns auf die Bank und rufen Sie dann Frau Roeder an. Dieses Gezwitscher wird sie ja leicht überzeugen, dass Sie sich hier gerade eine Auszeit nehmen.«
»Das ist kein Gezwitscher!«, tadelte Hinrichs sie.
»Wie auch immer. Ich möchte vor dem Anruf noch einmal alles mit Ihnen durchgehen.«
»Ich mag eventuell sonderbar auf Sie wirken, aber ich bin kein Idiot.« Hinrichs sah Katja zornig an.
Micky musste sich einschalten, ehe die Abneigung dieses Vogelliebhabers gegen Katja ihren Plan zerstören würde.
»Niemand denkt das, Herr Hinrichs. Es ist nur nicht so leicht, in solch einer Situation ganz natürlich zu klingen. Möchten Sie noch ein paar Minuten Ruhe haben?«
»Nein, ich will das hinter mich bringen. Ich würde Frau Dr. Roeder nie hintergehen, wenn sie mich nicht in diese schlimme Situation gebracht hätte.«
»Ja, Treue ist die Basis von allem. Aber wenn jemand diese Treue schamlos ausnutzt … Es war ihr völlig egal, dass Sie in den Mordfall hineingezogen werden und damit Ihr ganzes Leben durcheinandergerät.« In einem anderen Fall hätte Micky tröstend ihre Hand auf die Schulter des Gesprächspartners gelegt. Jens Hinrichs hingegen hätte diese Körperlichkeit zutiefst verstört.
»Also, ich rufe dann jetzt an.«
Er tippte die Eins als Kurzwahl auf seinem Handy, stellte den Lautsprecher ein und hielt das Telefon nah an seinen Mund.
Ingrid Roeder – number one, dachte Micky.
»Wo bist du, Jens?«, fragte Ingrid mit unterdrückter Aggression anstelle einer Begrüßung.
»Ich bin hier. Ich meine, im Tierpark.«
»Ist es mal wieder so weit?«
»Die letzten Tage … das war alles zu viel für mich. Diese Unruhe.«
»Ja, ja, ich verstehe schon. Dann brauche ich mit dir heute nicht mehr zu rechnen?«
»Nein«, sagte Hinrichs zögerlich.
»Gut, dann bis morgen.«
»Halt«, sagte er schnell.
»Was denn noch?«
»Es ist nur …«
»Was?«
»Der Schlüssel.«
»Welcher Schlüssel?«
»Der Schlüssel von Sybilles Wagen.«
»Was ist damit? Mein Gott, lass dir doch nicht immer alles aus der Nase ziehen, Jens!«
»Ich habe heute meine grüne Hose angezogen. Du weißt doch, die …«
»Jens!«
»Ich hatte sie zuletzt Sonntag vor einer Woche an. Ich habe in der Hosentasche eben den Schlüssel gefunden.«
»Bist du wahnsinnig? Ich hatte dir extra gesagt, du solltest ihn in ihrem Wagen unter die Fußmatte legen.«
»Ja, ich weiß!«, antwortete Hinrichs zerknirscht.
»Du bringst uns noch ins Gefängnis!«, zürnte Ingrid. Es war
Weitere Kostenlose Bücher