Höchstgebot
Regionale Polizeipräsident höchstselbst. Wollte der an Robert üben, was er längst verlernt hatte?
Im Prinzip befand er sich jetzt aber schon im lockeren Teil des Verhörs. In der ersten Stunde hatte Robert sich noch wie in einem absurden Theaterstück über ein totalitäres System gefühlt. Nicht nur, dass sich dieser Hoofdcommissaris Lucas und sein Gehilfe geweigert hatten, seine Geschichte vom Raub überhaupt anzuhören, sie hatten auch ihre sadistische Ader ausgelebt. Er hatte sie über seine horrenden Kopfschmerzen informiert. Stiche, die sich vom Nacken bis in die Schädeldecke bohrten. Seine Bitte, einen Arzt zu rufen, ignorierten sie. Und etwas später begann der Assi, hinter ihm auf und ab zu gehen und dabei wie zufällig immer wieder mit dem Ellenbogen gegen seinen Kopf zu stoßen. Die zusammengeschockten Sehnen in Roberts Nacken schienen jedes Mal zu reißen.
Sie feuerten eine Stalinorgel abstruser Fragen auf ihn ab. Fragen, auf die er nicht mal den Ansatz einer Antwort wusste. Erst nach und nach begriff er, dass sie ihn tatsächlich für einen Linksterroristen hielten. Einige Tage zuvor hatte Robert in einem Niederlande-Blog von einer Aktion gelesen, mit der Anhänger eines rechtsextremen Politikers Züge und Bahnhöfe zur kopftuchfreien Zone machen wollten. Sie hatten an Fahrgäste Formulare zur Beantragung einer Fahrpreiserstattung verteilt, weil sie ›gezwungen‹ waren, neben Frauen mit Kopftuch zu sitzen. Und gerade heute, an ihrem ›Aktionstag Freie Niederlande‹, hatten sie versucht, die Züge in Limburg, der Heimatprovinz des Politikers, ›rein niederländisch‹ zu besetzen. Dabei war ihnen Roberts Renault buchstäblich in die Quere gekommen.
»Ihr Deutschen seid die Letzten, die sich bei uns einzumischen haben«, schnappte der Polizist hinter ihm und stieß gegen seinen Rücken. »Bei uns läuft alles ganz demokratisch.«
»Bei Hitler lief am Anfang auch alles ganz demokratisch ab.« Warum konnte Robert eigentlich nicht einfach die Klappe halten? Weil er wütend war. Während die hier Staatsschutz-Spielchen spielten, hatten die Diebe Gelegenheit genug, ihre Beute abzuliefern und sich aus dem Staub zu machen.
Die Quittung kam sofort. Sein Kopf schlug zur Seite und Robert schrie vor Schmerz auf.
Bald darauf war ein uniformierter Kollege ohne zu klopfen eingetreten.
»Was ist denn, Molendorp?«, hatte Lucas ihn angeblafft.
Molendorp hatte Lucas einige Zettel vorgelegt und ihm etwas ins Ohr geflüstert, das dem Hoofdcommissaris nicht recht zu gefallen schien. Als sie wieder zu dritt waren und Lucas eine Weile aus dem Fenster gesehen hatte, überraschte er Robert mit einem neuen Ansatz: »Okay, lassen Sie noch mal Ihre Diebstahlgeschichte hören!«
Robert schluckte einen bösen Kommentar herunter und erzählte alles haarklein. Lucas hörte konzentriert zu. Aus seinen wenigen Nachfragen konnte Robert schließen, dass inzwischen Zeugenaussagen vorlagen, die seine Version bestätigten.
Der Ellenbogenschubser hatte den Vernehmungsraum verlassen und Lucas mit der dritten Phase seiner Patati-Behandlung begonnen, der Schimpfkanonade wegen des eigenmächtigen Handelns eines Amateurermittlers, das es den Maastrichter Einsatzkräften jetzt noch schwerer mache, die Täter zu verfolgen.
Er wollte Robert Angst machen. Und diese Angst sollte das groteske Terroristenverhör so weit überlagern, dass Robert gar nicht erst auf die Idee kommen würde, sich über die schlechte Behandlung zu beschweren. Jetzt, als er glaubte, ihn genug heruntergeputzt zu haben, verschwand der Hoofdcommissaris und kehrte nach einer Dreiviertelstunde mit einem Protokoll zurück.
Vor dem Eingangsportal des Polizeipräsidiums atmete Robert tief durch. Er schaute auf das Display seines Handys, das sie ihm eben erst zurückgegeben hatten. Zehn verpasste Anrufe. Egal, sein Kopf fühlte sich an wie eine überbeanspruchte Voodoopuppe und er brauchte dringend einen Arzt.
Während er behutsam die Treppe hinunterging, scherte ein schwarzes Mercedes-Coupé aus dem Parkstreifen vor dem Präsidium aus. Der Wagen hielt direkt vor ihm. Ein grau livrierter Fahrer stieg aus und öffnete die hintere rechte Tür. »Mijnheer Debriek und Frau Roeder erwarten Sie schon«, sagte er.
Die Unternehmensleitung der Limbs bv residierte in einem der viergeschossigen Glastürme des Il-Fiore- Bürokomplexes auf der Avenue Céramique. Der großzügige Empfang in der obersten Etage war mit einem teuren Teppichboden ausgestattet, der jedes Geräusch
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