Höchstgebot
war, in dem er sich erschossen hatte, war ihr neu.
›In der Zuhälterkarre vom Chef …‹, erinnerte sie sich an die Worte der Mitarbeiter.
Auber hatte ihr in seiner Raserei ›der Chef‹ zugeflüstert. War es die Erwähnung von Jelmer Borgsteel gewesen, die Aubers Wutanfall auslöste?
Er hätte diesen Betrug ›niemals so durchgeführt‹, hatte Auber in der Vernehmung behauptet. Hatte er damit ›nicht so amateurhaft‹ oder ›nicht so unmoralisch‹ gemeint? Oder beides?
»Jelmer muss in die Betrügereien verwickelt sein«, sagte sie endlich.
»Junge, Junge, ein Licht geht auf! Na gut, wir haben gestern Abend also gehörig Überstunden produziert und mit dem alten Borgsteel die Hintergründe der Vorfälle rekonstruiert.«
»Sein Sohn war dabei?«
»Jelmer Borgsteel war dabei«, bestätigte er. »Wir wissen jetzt, dass Borgsteel junior die Diebstähle organisiert und den Gewinn auf dem Konto in Deutschland geparkt hat.«
»Und dafür benutzte er Aubers Personalien?«
»Hans Auber wurde das erst klar, als du ihn damit konfrontiert hast. Jelmer hat auf Aubers Namen übrigens auch die Hotels für die Mannschaft gebucht, die den Diebstahl ausführte.«
»Und wer waren die Diebe?« fragte Micky.
»Eine Gruppe polnischer Abenteurer. Sie kamen jeweils ein paar Tage vorher an und verschwanden anschließend mit der Beute nach Deutschland. Kurz hinter der Grenze wurde die Ware umgeladen und verkauft. Ein paar Tage später kehrten die Männer zurück und lieferten Jelmer das Geld ab, das der dann auf das angebliche Konto Aubers in Kranenburg einzahlte. Willst du wissen, was er mit dem Geld gemacht hat?«
»Ja«, sagte Micky matt.
»Er hat es als Schmiergeld benutzt, um Aufträge von afrikanischen Geschäftspartnern an Land zu ziehen. Das reicht ja eigentlich schon, aber das Gemeinste ist, dass der junge Borgsteel den guten alten Auber als Sündenbock geopfert hat. Er hatte sich gedacht, nach dreißig Jahren Diensttreue würde Auber zwar rausfliegen, aber ohne Anzeige davonkommen. Und in der Zwischenzeit konnte sich Sohnemann mit gut gefüllten Auftragsbüchern bei Papa beliebt machen. Leider hat Auber dieses Unrecht nicht verkraftet und sich anders als geplant davongemacht.«
»Was für ein mieses Spiel«, seufzte Micky.
»Vielleicht ist es sogar noch mieser«, antwortete Duut. »Jelmer haben wir zwar schon eingesackt, aber ich habe da so eine Theorie: Die Borgsteels machten am Ende gemeinsame Sache. Als Borgsteel senior dich engagierte, wurde Jelmer der Boden etwas zu heiß. Er hat Papa lieber alles gebeichtet, bevor er auffliegen konnte. Sie entschieden miteinander, die Sache Auber anzuhängen, sodass beide davonkommen würden.«
»Und worauf begründest du diese Theorie?«
»Weil alle anonym verschickten Dokumente, auf die du dich blind gestürzt hast, vom alten Borgsteel kamen.«
»Hat er das zugegeben?«, fragte Micky ungläubig.
»Schon mal was von Fingerabdrücken gehört?«
Ein kurzer Gruß, dann legte Duut auf.
Micky ließ den Kopf in die Kissen sinken.
Der klassische Fall des Reicheleutesöhnchens, das alles daransetzte, die hohen Leistungsansprüche des Vaters zu erfüllen. Jelmer wollte beweisen, dass er in der Geschäftswelt, der Welt seines Vaters, seinen Mann stehen konnte. Und dass er der Richtige war, um das Unternehmen weiterzuführen. Sie hätte Borgsteels Bemerkung über die Thronfolge beim Einstellungsgespräch als Warnsignal erkennen müssen.
Außerdem hatte sie die Familiensolidarität unterschätzt. Blut ist dicker als Wasser, Basiswissen aus der Familienpsychologie.
Micky schob die Bettdecke weg. Der Tag dehnte sich leer vor ihr aus. Sie konnte shoppen oder laufen gehen, einen Chinesischkurs belegen, das Wohnzimmer tapezieren, sich besaufen … lass dir was einfallen, Spijker! Eine Weile lang blieb sie reglos liegen, in einer Stille, die sie nicht kannte, einer Stille, die sich weder von einem vorbeiplärrenden Moped noch vom Staubsauger des Nachbarn vertreiben ließ. Eine Stille des unausweichlichen Wartens auf den nächsten Auftrag. Eine Stille, die einen noch stilleren Gast mitbrachte, der verdächtig der Einsamkeit ähnelte. Und einen zweiten dazu, der den Pesthauch eines totalen Misserfolgs verbreitete.
Früher, vor noch nicht einmal einem Monat, hätte sie gleich den nächsten Fall in Angriff genommen. Im Präsidium hätte sie sich einen aussuchen können. Doch jetzt gab es nichts, auf das sie ihre Energie richten konnte, außer auf sich selbst und ihre kürzlich
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