Höchstgebot
einer jungen Frau, die sich in einem Haute-Couture-Rock auf einem Sofa räkelte. Die Botschaft war deutlich: Eine Prothese war etwas, auf das man stolz sein konnte, ein trendy und sogar sexy Accessoire. Carsten Roeder ließ Micky ein paar Augenblicke Zeit, die Ausstellung zu betrachten und zeigte dann auf eine begrünte Dachterrasse, auf die man durch ein System großer Glasschiebetüren gelangte.
»Draußen oder drinnen?«, fragte er.
»Draußen«, antwortete Micky.
»Sie oder du?«
»Du.«
»Ha, die niederländische Version von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit«, sagte Carsten. »Ich passe mich gern an. Möchtest du etwas trinken? Kaffee, Tee, Wasser?«
»Kaffee und Wasser, bitte«, sagte Micky.
Carsten betätigte eine Fernbedienung und fast geräuschlos glitt die linke Hälfte der Wand auf.
Micky zog ihre Jacke aus und ließ sich draußen in die Kissen einer der Teakholzbänke sinken. Es duftete so intensiv nach Jasmin, dass Micky sich wie im Urlaub fühlte, wozu nicht zuletzt die üppigen, in voller Blüte stehenden Bougainvilleen, Oleanderbüsche und Geißblattranken beitrugen. Carsten stellte ein Tablett auf den niedrigen Tisch und setzte sich ihr gegenüber.
»Wie ich ja schon erzählte, hat die Polizei festgestellt, dass es Brandstiftung war«, begann er, während er ihr eine Tasse Kaffee einschenkte.
»Die Untersuchung läuft noch. Aber ich sehe große Probleme mit der Versicherung auf uns zukommen.«
»Wenn es um die Regulierung geht, sträuben die sich immer.«
»Stimmt. Versicherungen sind genau wie bei euch und überall nichts weiter als Beruhigungsmittel, die unsere Ängste in Bezug auf die unterschiedlichsten Gefahren beschwichtigen sollen. Mit Banken als mafiösen Komplizen, weil die eine Versicherung verlangen, bevor sie Kredite gewähren. Ich bereite mich auf hektische Zeiten vor. Nicht nur das Labor und die Nebenräume wurden vernichtet, sondern auch die Ergebnisse unserer Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Für Roeder ist es von größter Wichtigkeit, herauszubekommen, was wirklich geschehen ist.«
»Und meine Untersuchung soll die Hintergründe der Brandstiftung aufklären?«
Roeder dachte einen Moment lang nach, ehe er antwortete. »Ja, ich brauche jemanden, der mit unabhängigem Blick hinschaut und nicht in festgefahrenen Mustern denkt. Das ist der offizielle Teil.«
»Klingt vage. Und reizvoll.«
»Ich halte den Auftrag absichtlich vage. Das lässt dir alle Freiheiten, so vorzugehen, wie es dir richtig erscheint. Aber ich lasse dich nicht im Trüben fischen. Du beginnst mit deinen Untersuchungen bei der Abteilung, in der der Brand gewütet hat. Ich stelle dich als brandtechnische Expertin der, sagen wir, Nationalen Ermittlungsbehörde für Pyrotechnik vor. Voilà, dein Deckmantel. Du bist hierhergekommen, um einen unabhängigen Bericht zu verfassen.«
»Und der inoffizielle Teil?«
Roeder nippte an seinem Wasser und stellte das Glas bedächtig ab, exakt in die Mitte eines eingelegten Sterns auf dem Marmortischchen.
»Eine heikle Sache. Zweifellos hast du bereits gehört, dass meine Schwester Ingrid ein Gemälde von Magritte verkauft hat und es in Maastricht gestohlen wurde. Der Verkauf dieses Stücks ist mir zu Herzen gegangen, aber die Eigentumsrechte lagen nun einmal bei Ingrid. Ich habe allerdings so meine Zweifel, was den Raub angeht. Es wäre mir einiges wert, wenn du mir meine Befürchtungen nehmen könntest.«
»Befürchtungen … in welcher Hinsicht?«
»Dass meine Schwester Ingrid möglicherweise etwas mit dem Raub zu tun hat. Auf welche Weise auch immer.«
»Warum sollte sie?«
»Es ist nur so ein Gefühl. Jeder hier weiß, dass mein Vater das Gemälde für mich gekauft hatte. Man tuschelt jetzt schon hinter meinem Rücken. Ich fürchte, es würde Ingrid gut ins Konzept passen, wenn mein Ruf zerstört würde. Ach, ich weiß nicht. Vielleicht ist es auch die reine Paranoia. Was immer du herausfindest, kann mir nur helfen.«
»Und welche Legende gibt es für diesen Auftrag?«
»Davon wissen nur du und ich«, antwortete er mit getragener Stimme. Dann musste er laut lachen. »Früher habe ich Bücher mit solchen Sätzen geradezu verschlungen. Aber in diesem Fall meine ich es leider sehr ernst.«
9
Carstens Lachen war so ansteckend, dass Micky mit einfiel, obwohl ein paar ihrer inneren Alarmsysteme auf Rot sprangen. Sein Vorschlag lief auf eine Undercoveraktion hinaus, bei der sie vor einen Karren mit unbekanntem Inhalt gespannt wurde. In Carstens
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