Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Höchstgebot

Höchstgebot

Titel: Höchstgebot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hoeps/Toes
Vom Netzwerk:
tue.«
    Im Sonnenlicht betrachtete Micky ihn genauer. Jens Hinrichs war Mitte fünfzig. Er wirkte untersetzt, aber sie hatte bei der unfreiwilligen Umarmung gespürt, dass hauptsächlich Muskeln zum Umfang seiner Gestalt beitrugen. Trotzdem war er mit seinen anthrazitfarbenen Cordhosen und den braunen Slippern, der beigefarbenen Freizeitjacke und dem Wollschal ein ziemlich unscheinbarer Typ.
    »Sind Sie zum ersten Mal nach dem Brand wieder hier?«, fragte sie.
    »Ja. Ich wollte wissen, ob die Polizei das Gebäude schon freigegeben hat.« Er wies mit dem Kinn auf die erste Etage. »Ich habe noch Privatsachen im Büro.«
    Hinrichs war ihrer Frage ausgewichen und hatte sich in eine Ausrede geflüchtet, registrierte Micky. Ein Anruf bei der Kripo hätte genügt, um zu erfahren, ob er hineindurfte oder nicht. »Wann haben Sie von dem Feuer erfahren?«
    »Frau Roeder hat mich noch während des Brandes benachrichtigt«, antwortete er. »Sie hat mich sofort abgeholt.«
    »Sie sind zusammen mit ihr hergekommen?«
    »Frau Roeder bezieht mich in alle wichtigen Dinge ein.«
    Er erklärte das mit einer solchen Genugtuung, dass Micky nicht umhin konnte, nachzufragen, ob es andersherum auch so sei.
    »Ja, natürlich«, sagte Hinrichs ohne einen Funken Ironie.
    »Was passierte nach Ihrem Eintreffen?«
    »Wir haben beobachtet, wie das Feuer gelöscht wurde. Und wir haben auch gesehen, wie eine Leiche hinausgetragen wurde.«
    »Ja, das war Sybille Wenger. Tragisch. Haben Sie sie gut gekannt?«
    Micky zückte ihr Notizbuch und setzte den Kuli auf einer leeren Seite an. Hinrichs antwortete nicht sofort, was ihr genügend Zeit ließ, sich Datum, Ort, Zeit und Hinrichs Namen zu notieren. Als die Antwort weiterhin ausblieb, blickte sie auf. Jens Hinrichs starrte an ihr vorbei, als warte er noch immer auf eine Frage. Sie nickte ihm zu. Hinrichs saugte die Wangen nach innen, bevor er antwortete.
    »Sybille?«, fragte er. »Wir arbeiten hier mit einem kleinen Team. Wenn alle im Haus sind, sind wir nicht mehr als zwölf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aber es gibt bei Roeder West zwei Abteilungen: die Entwicklungs- und die Testabteilung. Sybille hat die Prototypen getestet, die in meiner Abteilung entwickelt wurden. Formal gesehen lautet die Antwort also: nein.«
    Micky schrieb auf: ja.
    »Wer leitet die Abteilung, in der Sybille Wenger gearbeitet hat?«
    »Frau Roeder, wiederum formal betrachtet. Da sie aber zugleich Direktorin von Roeder West ist, hat sie viele Aufgaben an Sybille übertragen.«
    »Frau Wenger und Sie waren also praktisch gleichrangig. Welchen Eindruck hatten Sie von ihr?«
    »Das muss ich korrigieren: Sie war stellvertretende Abteilungsleiterin, ich bin Abteilungsleiter. Bitte notieren Sie sich das.«
    Micky schrieb: Hinrichs legt Wert auf Hierarchie.
    Dann fragte sie noch einmal freundlich: »Welchen Eindruck hatten Sie von ihr?«
    »Frau Dr. Wenger war eine hervorragende Wissenschaftlerin«, antwortete Hinrichs. »Sie war sehr streng in ihrem Urteil und die ersten Versionen unserer Testmodelle wurden uns jedes Mal mit einer langen Liste von Verbesserungswünschen zurückgeschickt.«
    »Hat das zu Konflikten geführt?«
    »Natürlich nicht«, erwiderte Hinrichs. »So funktioniert ein wissenschaftlicher Betrieb nicht. Erst nachdem unsere Modelle ihr Prüfsiegel erhalten hatten, konnte Roeder Ost guten Gewissens mit der Produktion beginnen.«
    Das alles klang Micky ein wenig zu glatt. Es wurde Zeit, auf die Technik der Übertreibung zurückzugreifen. »Kurzum: Sie waren alle eine große Familie.«
    Hinrichs wippte von einem Bein auf das andere. Er blickte einigen Dohlen nach, die sich auf dem geschwärzten Ast eines Ahorns niederließen.
    »Beruflich gesehen schon«, antwortete Hinrichs schließlich.
    »Sind Sie gelegentlich bei ihr zu Hause gewesen?«
    Er sah sie derart verwundert an, als hätte sie ihn gefragt, ob er zuweilen einen Weltraumspaziergang unternahm.
    »Nein, das wäre mir nicht eingefallen«, antwortete er.
    »Aber warum hat diese geschätzte Kollegin wohl das Labor angezündet?«, fragte Micky. »Aus Rache oder Wahnsinn, Wut oder Neid?«
    »Diese Art von Ermittlungen überlasse ich lieber den Behörden«, antwortete Hinrichs abweisend.
    Sein Handy gab ein Sirenengeräusch von sich. Er holte die eine Brillenhälfte wieder hervor und las die Nachricht auf dem Display.
    Er sagte: »Es war tatsächlich Sybille Wenger. Carsten Roeder hat es soeben offiziell bekannt gegeben.« Er drehte sich weg und neigte den

Weitere Kostenlose Bücher