Höchstgebot
er meistens keine Zeit anzurufen …«
»Er hat sich nämlich vor fünf Tagen krankgemeldet«, erklärte Katja und sah sich im Wohnzimmer um.
»Das kann nicht sein!«, erwiderte Frau Schmidt bestimmt. »Wenn Patrick krank ist, kommt er sofort nach Hause.«
Wahrscheinlich ließen ihre mütterlichen Gefühle den Gedanken nicht zu, dass ihr Sohn sich an jemand anderen wandte, geschweige denn, dass er seine Probleme alleine löste.
»Er ist jedenfalls nicht zur Arbeit gekommen«, sagte Katja. »Und sein Freund Sascha auch nicht.«
Irene Schmidt schüttelte den Kopf.
»Sehr merkwürdig. Wo die Arbeit ihm doch so wichtig ist.« Sie zeigte auf ein Foto im Bücherschrank. Patrick und Sascha standen auf einem Podium und hielten mit ernstem Gesicht ein Dokument vor sich. Unter dem rechten Arm trug jeder eine Uniformmütze.
»Der rechte ist Patrick, da hat er gerade sein Werkspolizei-Diplom in Empfang genommen. Direkt im Anschluss hat er bei ASSU angefangen. Er ist immer noch stolz, wenn er seine Uniform anzieht. Seine Haare hat er inzwischen blond gefärbt.«
Ganz die Mutter, dachte Micky.
»Wir haben seine Halskette mit der Hundemarke in einem Hotel in Lüttich gefunden«, sagte Katja. »Können Sie sich vorstellen, was er da gemacht hat?«
»Nein. Lüttich? Was soll er da zu suchen haben?«
»Keine Ahnung«, meinte Katja. »Alles, was wir wissen, ist, dass er sich am Sonntagabend für seinen Dienst bei Roeder West abgemeldet hat. Sie haben gehört, was in jener Nacht dort geschehen ist?«
Frau Schmidt ließ endlich von ihrer Jacke ab. »Er hat doch nichts mit diesem Brand zu tun, über den die Zeitungen berichten, oder?«
»Davon gehen wir nicht aus. Aber wir vermuten schon, dass …«
»Gott sei Dank!«, unterbrach sie Frau Schmidt-Kiesberg aufatmend. »Es ist ja so schrecklich, was dort geschehen ist.«
»… dass er an einem Gemälderaub beteiligt war«, vollendete Katja ihren Satz. »Einen Tag später.«
Frau Schmidt erstarrte. In ihren Augen erschien eine Unsicherheit, die sich kurz darauf in Hilflosigkeit und Empörung verwandelte. Dasselbe hatte Micky schon öfter bei Eltern beobachtet, die von den Missetaten ihrer Sprösslinge erfuhren.
»Dürfen wir uns sein Zimmer ansehen?«, fragte Katja.
Frau Schmidt nickte und zeigte in den Flur. Ihre Hand zitterte. »Zweite Tür rechts«, sagte sie heiser.
»Und wieder ist ein Traum von guter Erziehung geplatzt«, murmelte Micky, während sie Patricks Zimmer betraten.
Auch darin herrschte die Ordnung einer Kaserne. Patricks Bett war tipptopp gemacht. Seine Lehrbücher standen kerzengerade auf einem Regalbrett darüber.
Immerhin musste er sich mit Mutti nicht mehr das Bad beim Zähneputzen teilen, dachte Micky, als sie in der Ecke ein Waschbecken entdeckte. Es glänzte wie ein Ausstellungsstück, das Handtuch hing exakt in zwei gleichen Hälften über der Stange. Aftershave, Geltube und ein Becher mit Zahnpasta und Zahnbürste standen vor dem Spiegel aufgereiht wie Zinnsoldaten.
Ein eingerahmtes Poster des ersten Menschen auf dem Mond schmückte eine grauweiße Wand. Darunter hing ein asiatisches Kampfschwert aus Hartholz.
Auch der Inhalt des einzigen Schranks war mit militärischer Präzision geordnet. Die Winteruniformen hingen in verschlossenen Plastikkleidersäcken neben den beiden Sommeruniformen.
»Seiner Mutter muss doch aufgefallen sein, dass er seine Uniform hat hängen lassen«, sagte Micky.
Katja brummte zustimmend und zeigte ihr die einzige Extravaganz auf Patricks Schreibtisch: das neueste Modell einer Playstation.
Die Wand dahinter war von einem großformatigen Bildschirm bedeckt. Micky nahm willkürlich ein paar Spiele von dem fächerförmig angeordneten Softwarestapel.
» Test Drive Unlimited, The Ferrari Race Experience, Need for Speed «, las sie vor. »Und das bei jemandem ohne Führerschein.«
»Kompensation«, meinte Katja. »Ist zufällig eine Drei-D-Einführung in das Werk von René Magritte dabei?«
Micky sah die Blu-Rays durch, während Katja sich hinkniete und unter dem Bett nachschaute. Nach einer Minute richtete sie sich auf.
»Nur Verfolgungsjagden und Rennen«, sagte Micky. »Hast du noch etwas entdeckt?«
»Sogar seine Pornohefte sind nach Themen gestapelt«, antwortete Katja. »Milfs zu Milfs, Gruppensex zu Gruppensex … Sieht nicht nach dem Supergehirn aus, das einen Megaraub plant.«
Als Katja und Micky zurück ins Wohnzimmer kamen, stand Frau Schmidt in Gedanken versunken am Fenster. Katja kündigte an, dass sie
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