Höchstgebot
nicht erklärlich war. Jens Hinrichs folgte dem Geschehen stoisch. Der Bluterguss an seiner Schläfe hatte inzwischen erstaunliche Farben entwickelt.
Katja zog das Foto aus der Tasche und legte es Ingrid auf die Akte. »Dies sind Sascha Heidfeld und Patrick Schmidt«, sagte sie. »Auch als Freddy und Heino bekannt.«
Ingrid setzte die Brille wieder auf und sah sich das Foto eingehend an. »Ach, die singenden Wachleute«, sagte sie. »Ich höre sie abends gelegentlich. Was ist mit den beiden?«
»Wir sind auf der Suche nach ihnen«, erklärte Katja.
»Oh, ich habe sie in letzter Zeit auch nicht gesehen.«
»Sybille Wenger ist die Pflegeschwester von Sascha Heidfeld«, bemerkte Katja.
»Seine Pflegeschwester?« Ingrid Roeders Überraschung schien nicht gespielt zu sein.
»Sascha Heidfeld ist wie ein jüngerer Bruder in der Familie Wenger aufgewachsen. Sybille hat sich von klein auf um ihn gekümmert.«
Ingrid Roeder nahm sich Zeit, diese Information zu verarbeiten. Sie ließ den Stift zwischen ihren Fingern rotieren und schien ihre eigenen Schlüsse zu ziehen.
Jens Hinrichs räusperte sich und sprach Micky an: »Haben die beiden Wachleute vielleicht etwas mit dem Brand zu tun? Soweit ich mich erinnere, haben sie sich an dem Abend krankgemeldet.«
»Wir ziehen alle Möglichkeiten in Betracht«, antwortete Micky ausweichend, aber Katja setzte sich über ihre Vorsicht hinweg.
»Die Herren können uns auf jeden Fall etwas über den Raub an Ihrem Magritte erzählen«, sagte sie. »Sie sind geflüchtet, kurz bevor wir ihr Zimmer in einem Lütticher Hotel stürmten. Dort haben wir den Magritte gefunden.«
Sie gab Ingrid Zeit, um die Tragweite der Nachricht zu erfassen, aber die schoss nach vorn und fragte: »Und wo sind die beiden jetzt?«
»Es wird intensiv nach ihnen gefahndet. Wir vermuten, dass sie sich hier irgendwo in der Gegend versteckt halten. Sie haben keinen Ort, wo sie hinkönnen.«
Ingrid lehnte sich wieder in den Sessel zurück. »Und wo ist das Gemälde jetzt?«
»In einem Restaurierungsatelier in Maastricht. Aber kom men wir noch einmal auf Sascha Heidfeld zurück. Ihr Bruder hat ausdrücklich darum gebeten, ihn hier so oft wie möglich als Wachmann einzusetzen«, fuhr sie fort. »Er war also sozusagen Stammgast. Wussten Sie davon?«
Ingrid suchte kurz den Blick von Jens Hinrichs, der hinter ihr stand. Er schaute weg und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Es wäre lächerlich, wenn ich mich als Niederlassungsleiterin persönlich um so etwas kümmern würde«, sagte sie. »Und es ist eine schlichtweg bizarre Vorstellung, dass sich mein Bruder als Vorstandsvorsitzender mit solchen Lappalien aufgehalten haben soll.«
»Warum hat Ihr Bruder Sascha Heidfeld hierhergeschickt?«, fragte Katja. »Haben Sie eine Idee?«
Ingrid drehte sich auf ihrem Bürostuhl zu Jens Hinrichs um und gab ihm mit einer gereizten Handbewegung zu verstehen, dass sie nichts zu antworten wusste. »Jens, wenn du mehr weißt, dann sag es!«, forderte sie ihn auf.
Micky versuchte zu erkennen, ob sie mehr als die Überraschung mit ihrem Stellvertreter teilte. Nachdem Hinrichs mit einem Achselzucken reagiert hatte, blieb es eine Weile still. Wieder tupfte er sich den Schweiß von der Stirn.
»Ist Ihnen zu warm?«, fragte Micky.
Hinrichs lächelte unbehaglich. »Nein, aber ich leide an Klaustrophobie. Dieser Container ist ein wenig eng.«
»Das Protokoll des Gemäldetransports liegt uns vor«, nahm Micky den Faden wieder auf. »Von dem Augenblick, in dem das Bild hier abgeholt wurde bis zu seinem Diebstahl. Aber wo hat es sich vorher befunden?«
»Hier«, sagte Ingrid und deutete auf das Gebäude nebenan. »Es hat die ganze Zeit in meinem Büro gehangen. Geschützt durch eine Alarmanlage mit Vibrationsdetektor.«
»Wem war bekannt, dass Sie das Bild versteigern lassen wollten?«, fragte Katja.
»Jeder hier wusste von dem geplanten Verkauf. Herr Patati hat es ja einige Tage vor der Auktion transportfertig gemacht«, antwortete Ingrid Roeder. »Und dann stand es noch einen Tag lang abholbereit im Auslieferungsraum, aber eben falls mit einem Bewegungsmelder gesichert.« Ihre Körpersprache zeigte an, dass sie nun die Gesprächsführung übernehmen wollte. »Hat Carsten irgendetwas mit dem Raub zu tun? Oder mit dem Brand?«
»Wir untersuchen alles, was uns auffällig erscheint«, antwortete Katja. »Dass er bestimmte Wachleute angefordert hat, kann einen banalen Grund haben.«
»Zum Beispiel?«, fragte Ingrid
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