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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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stürmte aus der Telefonzelle. Beinahe hätte ich die draußen wartende Frau über den Haufen gerannt. Sie stieß einen verärgerten Schrei aus. Hatte Adam sich umgedreht? Als ich den Bahnsteig erreichte, schlossen sich gerade die automatischen Türen des Zuges. Ich schob einen Arm dazwischen, in der Hoffnung, daß irgendein zentraler Computer das registrieren und die Türen wieder öffnen würde. Oder würde der Zug einfach abfahren? Vor meinem geistigen Auge sah ich mich bereits unter den Rädern des Zuges. An der nächsten Haltestelle würde man meine schrecklich zugerichtete Leiche finden. Das würde Adam vor ein ziemliches Rätsel stellen.
    Die Türen öffneten sich. Ich hatte das Gefühl, daß mir soviel Glück eigentlich gar nicht zustand. Ich suchte mir ganz am Ende des Waggons einen Platz, weit weg von allen anderen, und begann zu weinen. Dann fiel mein Blick auf meinen Arm. Der Gummi der Tür hatte einen schwarzen Abdruck hinterlassen, als hätte ich mir zur Erinnerung ein Armband gekauft. Da mußte ich lachen.

    29. KAPITEL
    Ich war allein. Mir wurde endlich bewußt, wie allein ich inzwischen war, und mit dieser Erkenntnis kam die Angst.
    Natürlich war Adam nicht da, als ich von den Blanchards zurückkehrte, aber ich ging davon aus, daß er bald nach Hause kommen würde. Eilig zog ich ein altes TShirt an und kroch wie ein schuldbewußtes Kind ins Bett.
    Im Raum war es dunkel. Ich hatte den ganzen Tag nichts gegessen, und ab und zu knurrte mein Magen, aber ich wollte nicht, daß Adam mich beim Durchforsten des Kühlschranks oder am Küchentisch beim Essen oder bei einer anderen normalen häuslichen Tätigkeit antraf.
    Worüber konnte ich mit ihm reden? Alles, was ich hatte, waren Fragen, aber die konnte ich ihm nicht stellen. Mit jeder neuen Täuschung hatte ich mich weiter in eine Ecke manövriert, aus der ich nun keinen Ausweg mehr sah.
    Aber auch er hatte mich getäuscht. Es lief mir eiskalt über den Rücken, wenn ich daran dachte, wie ich mich in der Telefonzelle versteckt hatte, während er draußen vorbeigegangen war. Was für eine Farce! Unsere ganze Ehe basierte auf Begierde und Betrug.
    Als er leise pfeifend die Wohnung betrat, stellte ich mich schlafend. Ich hörte ihn den Kühlschrank öffnen, etwas herausnehmen und die Kühlschranktür wieder schließen.
    Ich hörte, wie er eine Bierdose aufmachte und sie rasch austrank. Dann zog er sich aus. Seine Kleider ließ er am Fußende des Betts auf den Boden fallen. Die Bettdecke wurde zurückgezogen, und ich spürte kalte Luft auf meiner Haut, als er neben mich glitt. Seine warmen Hände legten sich von hinten um mich. Ich seufzte, als würde ich tief schlafen, und bewegte mich leicht von ihm weg. Er folgte mir und schlang seinen Körper um meinen. Ich bemühte mich, tief und gleichmäßig zu atmen. Es dauerte nicht lang, bis Adam eingeschlafen war. Ich spürte seinen heißen Atem in meinem Nacken. Ich versuchte, klar zu denken.
    Was wußte ich eigentlich? Ich wußte, daß Adam eine heimliche Affäre mit einer Frau gehabt hatte, der offenbar etwas zugestoßen war. Ich wußte, daß diese Frau eine Schwester gehabt hatte, die Zeitungsartikel über Adam gesammelt, ihm schaurige Briefe geschickt hatte und vor ein paar Wochen aus einem Kanal gefischt worden war.
    Ich wußte natürlich auch, daß eine andere seiner Geliebten
    – Françoise mit den langen schwarzen Haaren – oben auf dem Berg ums Leben gekommen war, ohne daß Adam sie retten konnte. An diese drei Frauen mußte ich denken, während er neben mir schlief. Fünf in einem Bett.
    Adam war ein Mensch, der sein ganzes Leben lang von Gewalt und Verlust umgeben gewesen war. Andererseits lebte er natürlich in einer Welt, in der Männer und Frauen sich darüber im klaren sein mußten, daß das Risiko, früh zu sterben, groß war, gleichzeitig aber auch einen Teil des Kicks ausmachte. Vorsichtig befreite ich mich aus Adams Armen und drehte mich zu ihm um. In dem Licht, das von der beleuchteten Straße hereinfiel, konnte ich sein Gesicht sehen. Im Schlaf wirkte es heiter, und seine vollen Lippen schienen sich bei jedem Atemzug ein wenig zu blähen.
    Plötzlich empfand ich großes Mitleid mit ihm. Kein Wunder, daß er manchmal so finster und seltsam wirkte und seine Liebe sich auf so gewaltsame Weise äußerte.
    Ich wachte auf, als es draußen dämmerte. Als ich aufstand, ächzten die Bodendielen, aber Adam wurde davon nicht geweckt. Er hatte einen Arm über den Kopf gelegt. In seiner Nacktheit wirkte

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