Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
Vom Netzwerk:
ich sie am Morgen verlassen hatte. In der Küche türmte sich schon seit Tagen das Geschirr, Schubladen waren offen, Honig- und Marmeladengläser standen ohne Deckel herum, auf dem Schneidebrett lagen ein paar Scheiben ausgetrocknetes Brot, neben der Tür stapelten sich mehrere volle Mülltüten, und der Linoleumboden war voller Schmutz und Brösel. Im Wohnzimmer standen überall benutzte Tassen herum, und der Boden war mit alten Zeitungen und Zeitschriften sowie leeren Whisky-und Weinflaschen übersät. Den Tisch zierte ein Marmeladenglas mit einem Strauß vertrockneter, brauner Narzissen. Der Teppich sah aus, als sei er schon seit Wochen nicht mehr gesaugt worden. Wenn ich es mir recht überlegte, hatten wir auch das Bett schon wochenlang nicht mehr frisch bezogen, von den Bergen schmutziger Wäsche ganz zu schweigen.
    »Igitt!« sagte ich angewidert. »Ich sehe wirklich zum Kotzen aus, und diese Wohnung auch.«
    Ich krempelte die Ärmel hoch und fing in der Küche mit dem Aufräumen an. Ich würde mein Leben wieder in den Griff bekommen. Mit jeder Fläche, die ich sauberwischte, fühlte ich mich ein wenig besser. Ich spülte das Geschirr ab, warf all die alten, verdorbenen Lebensmittel in den Müll, ebenso sämtliche Kerzenstummel und die Berge von Werbeprospekten, die sich angesammelt hatten. Dann schrubbte ich den Boden mit heißem Seifenwasser. Ich sammelte die leeren Flaschen und alten Zeitungen ein.
    Dabei nahm ich mir nicht mal die Zeit, die Nachrichten von letzter Woche zu lesen. Als ich Sherpas Schüssel in den Mülleimer warf, versuchte ich, nicht daran zu denken, in welchem Zustand ich unsere Katze vorgefunden hatte.
    Ich zog das Bett ab und legte die Bettwäsche in die Ecke zu der anderen Schmutzwäsche. Ich ordnete Schuhe zu Paaren und Bücher zu sauberen Stapeln. Ich beseitigte den schwarzen Rand aus der Badewanne und die Kalkschicht von der Dusche. Die Handtücher warf ich ebenfalls auf den Wäscheberg.
    Dann machte ich mir eine Tasse Tee und nahm die Pappschachteln unter dem Bett in Angriff. Adam und ich hatten uns angewöhnt, alles, was wir nicht gleich wegwerfen wollten, in diesen Schachteln zu sammeln.
    Einen Moment lang überlegte ich, ob ich sie einfach draußen neben die Mülltonnen stellen sollte, ohne ihren Inhalt noch einmal zu überprüfen. Aber dann fiel mein Blick auf einen Zettel mit Paulines neuer Nummer. Die durfte ich auf keinen Fall wegwerfen. Also fing ich an, mich durch die alten und neuen Rechnungen zu wühlen, durch die Postkarten und wissenschaftlichen Zeitschriften, in die ich noch gar nicht hineingeschaut hatte. Zwischen fotokopiertem Drakloop-Material fand ich ein paar Zettel mit Nachrichten, die ich für Adam oder er für mich hinterlassen hatte. »Bin spätestens Mitternacht zurück.
    Warte auf mich!« stand da beispielsweise.
    Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen traten. Rasch sortierte ich weiter. Neben vielen leeren Briefumschlägen enthielten die Schachteln auch ein paar ungeöffnete Briefe, die an den Eigentümer der Wohnung adressiert waren. Ich trug sämtliche Kuverts zum Schreibtisch hinüber, der in einer Ecke des Schlafzimmers stand, und begann sie auf drei Stapel zu verteilen. Einen, den ich wegwerfen würde, einen, um den wir uns umgehend kümmern mußten, und einen dritten, der zurück in die Schachtel kam. Einer der Stapel kippte um, und mehrere Briefe rutschten hinter den Schreibtisch. Es gelang mir nicht, sie wieder herauszufischen, der Spalt zwischen Tisch und Wand war zu schmal. Einen Moment lang war ich versucht, die Kuverts einfach dort zu lassen, wo sie waren. Nein, das kam gar nicht in Frage, ich würde die ganze Wohnung aufräumen. Sogar dort, wo man es nicht sah. Unter Aufbietung all meiner Kräfte schaffte ich es, den schweren Schreibtisch ein Stück von der Wand wegzuschieben. Ich zog die hinuntergefallenen Briefe und noch ein paar andere Dinge, die im Lauf der Zeit hinter einem Schreibtisch landen, heraus: ein vertrocknetes Apfelkernhaus, eine Büroklammer, die Kappe eines Stifts, einen weiteren alten Briefumschlag. Ich warf einen Blick auf den Umschlag, um festzustellen, ob ich ihn einfach wegwerfen konnte. Er war an Adam adressiert. Ich drehte das Kuvert um, und plötzlich hatte ich das Gefühl, als würde mir jemand so fest in den Magen boxen, daß ich kaum noch Luft bekam.

    »Einen harten Tag gehabt?« stand da in dicker schwarzer Tinte. Es war Adams Schrift. Eine Zeile tiefer las ich:
    »Einen harten Tag gehabt, Adam?« Dann: »Nimm

Weitere Kostenlose Bücher