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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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außerordentlichen Leistungen Adams, das verschwundene Führungsseil und das daraus resultierende Abbiegen der fünf Bergsteiger in die falsche Richtung: Françoise Colet, Pete Papworth, Caroline Frank, Alexis Hartounian und Tomas Benn. Françoise Colet, die gerade mit Adam Schluß gemacht und eine Affäre mit Greg begonnen hatte.
    Adele Blanchard hatte sich ebenfalls von Adam getrennt.
    Bestimmt hatte er damals den Wunsch gehabt, sie möge tot sein, und prompt war sie verschwunden. Nachdem Françoise Colet sich von ihm getrennt hatte, hatte er wohl auch ihren Tod herbeigesehnt, und sie war auf dem Berg gestorben. Das hieß nicht automatisch, daß er sie getötet hatte. Wenn man jemandem den Tod wünschte und die betreffende Person starb tatsächlich, hieß das dann, daß man eine gewisse Mitverantwortung trug, auch wenn man ihren Tod nicht verursacht hatte? Ich ging das Ganze immer wieder von neuem durch. Was, wenn er sich nicht genug Mühe gegeben hatte, sie zu retten? Nach übereinstimmender Aussage aller aber hatte er ohnehin viel mehr geleistet, als jemand anderer in einer solchen Situation hätte leisten können.
    Was, wenn er ihre Gruppe auf der Liste seiner Prioritäten an die letzte Stelle gesetzt und vorher alle anderen gerettet hatte? Machte ihn das ein klein wenig verantwortlich für den Tod Françoise und der übrigen Expeditionsteilnehmer? Andererseits hatte es die damalige Situation einfach erfordert, daß jemand Prioritäten setzte.
    Klaus beispielsweise konnte auch nicht für den Tod der anderen verantwortlich gemacht werden, nur weil er sich in einer Verfassung befand, in der er nicht einmal sich selbst retten konnte, geschweige denn darüber entscheiden, in welcher Reihenfolge die anderen gerettet werden sollten. Außerdem war das sowieso alles Schwachsinn. Adam hatte ja nicht ahnen können, daß dieses Unwetter über sie hereinbrechen würde.
    Trotzdem war da etwas, das mir keine Ruhe ließ. Wie ein leichtes Jucken, das so schwach ist, daß man es nicht einmal genau lokalisieren kann, das einen aber trotzdem daran hindert, sich zu entspannen. Vielleicht war es nur ein technisches Detail, auch wenn keiner der Experten etwas Derartiges erwähnt hatte. Das einzig relevante technische Detail war, daß sich das von Greg befestigte Seil ausgerechnet da gelöst hatte, als die Bergsteiger es am dringendsten gebraucht hätten; aber das betraf alle absteigenden Gruppen. Es war reiner Zufall, daß ausgerechnet Françoises Gruppe die falsche Route gewählt hatte. Trotzdem ließ mir die Sache keine Ruhe. Warum konnte ich nicht aufhören, darüber nachzudenken?
    Schließlich gab ich auf. Ich stellte mich lange unter die Dusche, schlüpfte in eine Jeans und eins von Adams TShirts und machte mir einen Toast. Ich kam allerdings nicht dazu, ihn zu essen, weil es an der Tür klingelte. Da ich niemanden erwartete und im Moment auch niemanden sehen wollte, machte ich zunächst nicht auf. Aber es klingelte noch einmal – diesmal länger –, so daß ich schließlich doch die Treppe hinunterlief.
    Vor der Tür stand eine Frau mittleren Alters. Sie trug einen Regenmantel und hatte zusätzlich einen großen schwarzen Schirm aufgespannt. Die Frau war ziemlich füllig, hatte kurzes, bereits etwas angegrautes Haar und Falten um die Augen. Zwei weitere tiefe Falten verliefen von der Nase bis zu den Mundwinkeln. Obwohl ich sie nicht kannte, hatte ich sofort den Eindruck, daß sie unglücklich war.
    »Ja?« fragte ich.
    »Adam Tallis?« sagte sie. Sie sprach mit starkem Akzent.
    »Tut mir leid, er ist im Moment nicht da.«
    Sie starrte mich verwirrt an.
    »Er ist nicht da«, wiederholte ich langsam. Ich betrachtete ihr schmerzerfülltes Gesicht, ihre gebeugten Schultern. »Kann ich Ihnen helfen?«
    Sie schüttelte den Kopf und preßte dabei die rechte Hand gegen die Brust. »Ingrid Benn«, sagte sie. »Ich bin die Frau von Tomas Benn.« Ich hatte Schwierigkeiten, sie zu verstehen. Das Sprechen schien ihr große Mühe zu bereiten. »Tut mir leid, mein Englisch ist nicht …« Sie machte eine hilflose Handbewegung.
    »Ich möchte mit Adam Tallis sprechen.«
    Ich öffnete die Tür ganz weit. »Kommen Sie herein«, sagte ich.
    »Bitte, kommen Sie herein.« Ich nahm ihr den nassen Schirm ab und schüttelte ihn kräftig aus. Sie trat ein, und ich zog mit einer energischen Bewegung die Tür hinter ihr zu.
    Ingrid Benn war Tomas Benns Frau. Mir war inzwischen wieder eingefallen, daß sie vor ein paar Wochen an Adam und Greg

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