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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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sagte ich und hielt ihn zurück. »Trink nichts mehr. Ich möchte, daß du dich auf das konzentrierst, was ich dir jetzt sage. Du weißt bestimmt, daß damals, als die am Chungawat vermißte Gruppe ins Camp hinuntergebracht wurde, einer der Männer noch am Leben war. Kannst du dich erinnern, welcher es war?«
    Gregs düstere Miene wirkte wie versteinert.
    »Ich war damals nicht ganz bei Bewußtsein. Es war Peter Papworth, nicht wahr? Er hat noch um Hilfe gerufen, der arme Kerl. Die Hilfe, die ich Versager ihm nicht gebracht habe.«
    »Nein«, widersprach ich. »Klaus ist in seinem Buch ein Fehler unterlaufen. Es war nicht Papworth. Es war Tomas Benn.«
    »Möglich«, sagte Greg. »Wir waren damals alle nicht in Bestform. Klaus war auch ziemlich am Ende.«
    »Was war Benns auffallendstes Merkmal?«
    »Er war ein beschissener Bergsteiger.«
    »Nein, du hast es mir selbst gesagt. Er hat kein Wort Englisch gesprochen.«
    »Und?«
    »Help. Help. Help. Das hat er angeblich gesagt, als er im Sterben lag. Kurz bevor er ins Koma fiel. Ein seltsamer Zeitpunkt, um mit dem Englischreden anzufangen.«
    Greg zuckte mit den Schultern.
    »Vielleicht hat er es auf deutsch gesagt.«
    »Das deutsche Wort für help ist Hilfe. Das klingt nicht sehr ähnlich.«
    »Vielleicht war es doch ein anderer.«
    »Es war kein anderer. In dem Artikel im Guy-Magazin werden drei verschiedene Leute zitiert, die alle von seinen letzten Worten berichtet haben. Zwei Amerikaner und ein Australier.«
    »Warum haben die dann alle behauptet, er habe help gesagt?«
    »Sie haben es deswegen behauptet, weil sie ihn tatsächlich so verstanden haben. Weil es für sie naheliegend war, daß jemand in dieser Situation help sagen würde. Aber meiner Meinung nach hat er etwas anderes gesagt.«
    »Was hat er denn deiner Meinung nach gesagt?«
    Ich blickte mich um. Adam war noch immer im Haus, wo er uns bestimmt nicht hören konnte. Ich winkte ihm betont fröhlich zu.
    »Ich glaube, er hat gelb gesagt.«
    »Gelb? Was zum Teufel soll das heißen?«
    »Das ist das deutsche Wort für yellow.«
    »Yellow? Warum zum Teufel hätte er etwas über eine Farbe faseln sollen, während er im Sterben lag? Meinst du, er hatte Halluzinationen?«
    »Nein. Ich glaube, daß seine letzten Gedanken auf das Problem gerichtet waren, das ihn umgebracht hat.«
    »Was meinst du damit?«
    »Die Farbe des Seils, dem die Gruppe beim Abstieg gefolgt ist. Auf der falschen Seite des Gemini Ridge.
    Einem gelben Seil.«
    Greg wollte etwas erwidern, klappte den Mund aber wieder zu. Er schien über das nachzudenken, was ich eben gesagt hatte.
    »Aber das Seil, das den Gemini Ridge hinunterführte, war blau. Es war mein Seil. Sie sind auf der falschen Seite abgestiegen, weil sich das Seil gelöst hatte. Weil ich es nicht richtig gesichert hatte.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Das glaube ich nicht«, sagte ich. »Ich glaube, die beiden obersten Haken deines Seils haben sich gelöst, weil sie von jemandem herausgezogen wurden. Und ich glaube, daß Françoise, Peter, Carrie, Tomas und der andere … wie hieß er noch mal?«
    »Alexis«, murmelte Greg.
    »… daß sie die falsche Seite erwischt haben, weil sie einem Seil gefolgt sind. Einem gelben Seil.«
    Greg starrte mich verblüfft an. Noch immer wirkte sein Gesichtsausdruck gequält.
    »Wie hätte ein gelbes Seil dorthin kommen sollen?«
    »Es wurde absichtlich dort angebracht, um die Gruppe in die falsche Richtung zu führen.«
    »Aber von wem?«
    Ich drehte mich um und sah wieder zum Fenster hinauf.
    Adam warf einen Blick in unsere Richtung und wandte sich dann wieder der Frau zu, mit der er gerade sprach.
    »Vielleicht war es ein Versehen«, sagte Greg.
    »Es war kein Versehen«, antwortete ich langsam.
    Nun folgte langes Schweigen. Mehrmals suchte Greg meinen Blick, schaute aber gleich wieder weg. Plötzlich setzte er sich auf den nassen Boden. Dabei lehnte er sich gegen einen feuchten Busch, der zurückfederte und uns beide mit Wasser bespritzte. Gregs Körper wurde von verzweifelten Schluchzern geschüttelt.
    »Greg«, zischte ich. »Nimm dich zusammen.«
    Er konnte gar nicht mehr aufhören zu weinen.
    »Ich kann nicht! Ich kann nicht!«
    Ich kniete mich vor ihn, packte ihn fest an den Schultern und rüttelte ihn.
    »Greg! Greg!« Ich zog ihn hoch. Sein tränenüberströmtes Gesicht war rot angelaufen. »Du mußt mir helfen, Greg. Ich habe sonst niemanden. Ich bin allein.«
    »Ich kann nicht! Ich kann nicht! Der verdammte Scheißkerl! Ich kann

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