Höhenangst
Tara Blanchard meinen Mann erpreßt oder zumindest belästigt hat und er sie deswegen umgebracht hat.«
»Belästigt?«
»Wir bekamen ständig anonyme Anrufe, oft spät in der Nacht oder ganz früh am Morgen. Hin und wieder kamen auch Drohbriefe.«
Die Miene des Mannes blieb ausdruckslos.
Wahrscheinlich überlegte er gerade, ob er tatsächlich gezwungen sein würde, sich mit meiner Geschichte auseinanderzusetzen. Ich hatte den Eindruck, daß ihn diese Aussicht nicht besonders erfreute. Entnervt sah ich mich um. Ich konnte in dieser Umgebung nicht weitersprechen.
Vielleicht würde das, was ich zu sagen hatte, überzeugender wirken, wenn ich meine Aussage in einem etwas formelleren Rahmen machte.
»Tut mir leid, Mr. … Ich weiß nicht mal Ihren Namen.«
»Byrne. Detective Inspector Byrne.«
»Können wir nicht irgendwo reden, wo es ein bißchen ruhiger ist? Es fällt mir schwer, auf einem Flur über diese Dinge zu sprechen.«
Er stieß einen müden Seufzer aus, um seine Ungeduld zu demonstrieren.
»Es sind keine Räume frei«, antwortete er. »Sie können mitkommen und sich neben meinen Schreibtisch setzen, wenn Ihnen das lieber ist.«
Ich nickte, und Byrne führte mich nach hinten.
Unterwegs organisierte er mir einen Kaffee. Eigentlich war mir gar nicht nach Kaffee zumute, aber das sagte ich ihm nicht. Mir war alles willkommen, was dazu beitrug, ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen uns herzustellen.
»Wo waren wir stehengeblieben?« fragte er, während er sich an seinem Schreibtisch niederließ. Ich nahm ihm gegenüber Platz.
»Mein Mann und ich bekamen diese Drohbriefe.«
»Von der Ermordeten?«
»Ja, Tara Blanchard.«
»Hat sie sie unterschrieben?«
»Nein, aber nach ihrem Tod habe ich mir ihre Wohnung angesehen und in ihrem Müll Zeitungsartikel über meinen Mann gefunden.«
Byrne wirkte überrascht, um nicht zu sagen alarmiert.
»Sie haben ihren Müll durchsucht?«
»Ja.«
»Was waren das für Zeitungsartikel?«
»Mein Mann – sein Name ist Adam Tallis – ist ein bekannter Bergsteiger. Er hat letztes Jahr an einer Expedition auf einen Himalajagipfel teilgenommen, in deren Verlauf es zu einer schrecklichen Katastrophe kam und fünf Menschen starben. Er ist eine Art Held.
Jedenfalls war das Problem das, daß wir eine weitere dieser Nachrichten bekamen, nachdem Tara Blanchard bereits tot war. Nicht nur das. Die Nachricht stand im Zusammenhang mit einem Einbruch in unsere Wohnung.
Dabei ist unsere Katze getötet worden.«
»Haben Sie den Einbruch gemeldet?«
»Ja. Zwei Beamte dieses Reviers haben sich die Sache angesehen.«
»Na, das ist ja schon mal was«, antwortete Byrne und fügte hinzu – als wäre es kaum die Mühe wert, darauf hinzuweisen –, »aber wenn das passiert ist, nachdem die Frau bereits tot war …«
»Genau«, sagte ich. »Das konnte eigentlich gar nicht sein. Aber vor ein paar Tagen habe ich in unserer Wohnung einen Großputz gemacht und hinter einem Schreibtisch ein verknittertes Kuvert gefunden. Darauf hat Adam ganz offensichtlich geübt, die Nachricht zu schreiben, die wir als letzte bekamen.«
»Und?«
»Das bedeutet, daß Adam versucht hat zu verhindern, daß jemand eine Verbindung zwischen den Nachrichten und dieser Frau herstellt.«
»Kann ich die Nachricht sehen?«
Ich schüttelte den Kopf. Vor diesem Moment hatte ich mich gefürchtet.
»Adam hat herausgefunden, daß ich ihn verdächtige. Als ich heute in die Wohnung zurückkam, war das Kuvert verschwunden.«
»Wie hat er das herausgefunden?«
»Ich habe alles aufgeschrieben, in einen Umschlag gesteckt und einer Freundin gegeben. Für den Fall, daß mir etwas zustoßen sollte. Aber sie hat es gelesen und dann Adam gezeigt.«
Byrne mußte ein Lächeln unterdrücken.
»Vielleicht wollte sie dabei nur Ihr Bestes«, sagte er.
»Vielleicht wollte sie Ihnen helfen.«
»Natürlich wollte sie mir helfen. Aber sie hat mir nicht geholfen. Sie hat mich in Gefahr gebracht.«
»Das Problem ist, ähm, Mrs. …«
»Alice Loudon.«
»Das Problem ist, daß es sich bei Mord um ein sehr schwerwiegendes Vergehen handelt.« Er sprach mit mir, als müßte er ein Schulkind über sicheres Verhalten im Straßenverkehr aufklären. »Und da es sich um ein so schwerwiegendes Vergehen handelt, brauchen wir Beweise, nicht nur Verdachtsmomente. Es kommt sehr häufig vor, daß Leute jemanden aus ihrem Bekanntenkreis verdächtigen. Sie haben einen Streit mit dem Betreffenden, und hinterher verdächtigen sie ihn, ein
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