Höhenangst
sich ganz genau orientieren. Ich fühlte mich sehr unwohl und schob ihn verwirrt ein Stück von mir weg. Was hatte das alles mit seinen vielen Seitensprüngen zu tun?
»Und dann bist da noch du, Alice, meine einzige Liebe«, sagte er. Dabei trat er einige Schritte zurück und sah mich an, als wäre ich ein wertvolles Schmuckstück in einem Schaufenster. »Du kennst bestimmt die Geschichte, daß wir alle in zwei Hälften zerbrochen sind und uns ein Leben lang nach unserem anderen Ich sehnen. Bei jeder Affäre, die wir haben, und sei sie noch so trivial, hegen wir ein klein wenig die Hoffnung, daß es sich dabei um unser anderes Ich handeln könnte.« Seine Augen wurden plötzlich dunkel wie die Oberfläche eines Sees, über dem sich eine Wolke vor die Sonne geschoben hat. Schaudernd stand ich vor dem Weißdornbusch. »Deswegen können solche Affären auch so schlimm enden – weil man dabei häufig das Gefühl hat, um etwas betrogen worden zu sein.« Er schaute sich einen Moment lang um und richtete seinen Blick dann wieder auf mich.
»Aber bei dir weiß ich, daß du meine andere Hälfte bist.« Ich spürte, wie mir die Luft wegblieb. Meine Augen füllten sich mit Tränen.
»Mein Gott, Adam, du bist heute so seltsam! Küß mich einfach, oder halte mich fest!«
Er schüttelte den Kopf und hob die Kamera vors Gesicht.
»Ich möchte hier an dieser Stelle ein Foto von dir machen. Genau in dem Moment, in dem ich dich gefragt habe, ob du meine Frau werden willst.«
Es blitzte. Ich spürte, wie meine Knie nachgaben. Ich ließ mich auf das feuchte Gras sinken. Adam stürzte auf mich zu und schlang die Arme um mich.
»Bist du in Ordnung?«
War ich in Ordnung? Ein Gefühl großer Freude stieg in mir auf. Ich stand lachend auf und küßte ihn fest auf den Mund. Als Zeichen meiner Liebe.
»Ist das ein Ja?«
»Natürlich ist es das, du Idiot. Ja. Ja, ja, ja!«
»Schau!« sagte er. »Hier ist sie.«
Und da war ich tatsächlich. Mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen nahm ich auf dem Foto langsam Gestalt an. Die Farben wurden intensiver, die Umrisse schärfer.
»Hier, bitte«, sagte er und reichte mir das Bild. »Es ist ein festgehaltener Moment, aber auch ein Versprechen.
Für immer.«
Ich nahm das Foto und steckte es in meine Tasche.
»Für immer«, sagte ich.
Adam packte mein Handgelenk mit einer Heftigkeit, die mich erschreckte.
»Das meinst du doch ernst, oder, Alice? Es ist nicht das erstemal, daß ich mich ganz auf einen anderen Menschen einlasse, und ich bin schon ein paarmal enttäuscht worden.
Deswegen habe ich dich hierhergebracht, damit wir einander dieses feierliche Versprechen geben können.« Er sah mich mit einem wilden Ausdruck in den Augen an, als wollte er mir drohen. »Dieses Versprechen ist wichtiger als jede Ehe.« Seine Stimme wurde ein wenig weicher.
»Ich könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren. Ich könnte dich niemals gehen lassen.«
Ich schlang meine Arme um ihn. Dann nahm ich seinen Kopf zwischen meine Hände und küßte seinen Mund, seine Augen, sein Kinn und seinen Hals. Ich sagte ihm, daß ich sein sei und er mein. Ich spürte seine Tränen auf meiner Haut, heiß und salzig. Meine einzige Liebe.
12. KAPITEL
Ich schrieb an meine Mutter. Sie würde sehr überrascht sein. Ich hatte ihr bloß mitgeteilt, daß Jake und ich uns getrennt hatten. Sie wußte noch gar nichts von Adam. Ich schrieb auch an Jake und versuchte, die richtigen Worte zu finden. Ich wollte nicht, daß er es von jemand anderem erfuhr. Nach und nach lernte ich weitere Freunde und Kollegen Adams kennen – Leute mit denen er geklettert war, Leute, mit denen er das Zelt und das Klo geteilt und für die er sein Leben riskiert hatte –, und überall, wo wir uns aufhielten, spürte ich Adams prüfenden Blick, der meine Haut zum Prickeln brachte. Ich ging zur Arbeit, saß an meinem Schreibtisch und nahm an Besprechungen teil, dachte aber die ganze Zeit nur an Adam und unsere lustvollen Nächte – die vergangenen und die zukünftigen.
Immer wieder nahm ich mir vor, Sylvie, Clive und sogar Pauline anzurufen, aber irgendwie schaffte ich es nicht.
Fast jeden Tag bekamen wir jetzt diese seltsamen Anrufe.
Ich gewöhnte mir an, den Hörer ein Stück von meinem Ohr wegzuhalten, einen Moment lang dem keuchenden Atem zu lauschen und dann wieder aufzulegen. Eines Tages fanden wir nasses Laub und Erde in unserem Briefkasten, ignorierten aber auch das. Wenn ich hin und wieder so etwas wie Angst verspürte, dann
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