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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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ließe. Sein Plan sah vor, daß jeder der beteiligten Bergführer eine Reihe von Seilen spannen sollte, die an fest im Boden verankerten Pfählen befestigt werden würden. An diesen Seilen würden die Bergsteiger mit Hilfe von Karabinern festgemacht werden.
    Die Seile würden entlang einer sicheren Route von Camp zu Camp verlaufen. Je ein Bergführer sollte für ein bestimmtes, farblich markiertes Seil verantwortlich sein und brauchte nur noch dafür zu sorgen, daß die Kunden die richtige Ausrüstung trugen und sicher am Seil hingen.
    »Die einzige Gefahr«, hatte er Klaus erklärt, »besteht darin, an Langeweile zu sterben.« Klaus war ein alter Freund von ihm, und Greg bat ihn, an der ersten Expedition teilzunehmen und ihm bei der Logistik zu helfen. Im Gegenzug bot er ihm einen großen Preisnachlaß an. Klaus war hinsichtlich seiner eigenen Motive absolut ehrlich. Er habe von Anfang an Zweifel gehabt und sich von der Idee abgestoßen gefühlt, aus der Bergsteigerei ein touristisches Spektakel zu machen, aber er habe Gregs Angebot trotzdem angenommen, weil er noch nie im Himalaja gewesen war und unbedingt hin wollte.
    Über seine »Mitreisenden«, zu denen unter anderem ein Börsenmakler von der Wall Street und eine kalifornische Schönheitschirurgin gehörten, äußerte sich Klaus ebenfalls ziemlich zynisch. Nur von einer einzigen Person sprach er ohne jeden Zynismus. Als Adams Name zum erstenmal erwähnt wurde, spürte ich, wie sich mein Magen verkrampfte.

    Das Goldstück der Expedition war Gregs zweiter Bergführer, Adam Tallis, ein schlaksiger, gutaussehender, schweigsamer Engländer. Mit seinen dreißig Jahren war Tallis bereits einer der hervorragendsten Kletterer der jüngeren Generation. Am meisten beruhigte mich, daß er gerade im Hinblick auf das Himalaja- und Karakorumgebiet viel Erfahrung besaß. Adam, ein langjähriger Freund, kein Mann von vielen Worten, teilte offenbar meine Zweifel an dem Projekt. Der Unterschied zwischen uns war, daß er als Bergführer sein Leben aufs Spiel setzen mußte, falls irgend etwas schiefging.
    Mein Magen verkrampfte sich ein zweites Mal, als Klaus berichtete, daß Adam damals vorgeschlagen habe, seine Exfreundin Françoise Colet, die unbedingt einen Himalajagipfel besteigen wollte, als Ärztin mitzunehmen.
    Greg war zunächst dagegen, erklärte sich dann aber doch bereit, sie als Kundin mit großem Preisnachlaß teilnehmen zu lassen.
    In der daran anschließenden Passage ging es für meinen Geschmack zuviel um bürokratische Details, Sponsoren und Rivalitäten mit anderen Kletterern. Dann wurde die erste Etappe beschrieben, der Treck durch die Gebirgsausläufer von Nepal, und schließlich, fast wie eine göttliche Offenbarung, der erste Blick auf den Chungawat mit seinem berüchtigten Gemini Ridge, einem Grat, der vom Joch direkt unterhalb des Gipfels nach unten verläuft und sich zweiteilt, wobei eine Seite zu einem Abgrund führt (den der englische Major und seine Kameraden hinunterrutschten) und die andere in einen sanft abfallenden Hang übergeht. Ich hatte beim Lesen das Gefühl, das Ganze selbst mitzuerleben und zu spüren, wie das Licht heller und die Luft dünner wurde. Anfangs enthielt der Text noch heitere Elemente; es war beispielsweise von Trinksprüchen und Gebeten an die oberste Berggottheit die Rede. Außerdem berichtete Klaus von Sex in einem der Zelte, worüber die Sherpas zum Teil amüsiert, zum Teil schockiert gewesen seien, vergaß aber diskret zu erwähnen, wer daran beteiligt gewesen war. Ich fragte mich, ob wohl Adam mit ihr im Schlafsack gesteckt hatte, wer auch immer sie war – wahrscheinlich die Schönheitschirurgin, Carrie Frank, dachte ich.
    Mittlerweile ging ich davon aus, daß Adam mit so ziemlich jeder Frau geschlafen hatte, die ihm jemals über den Weg gelaufen war. Deborah zum Beispiel, die kletternde Ärztin aus Soho. Sie hatte so einen Ausdruck in den Augen, der mich vermuten ließ, daß die beiden etwas miteinander gehabt hatten.
    Als dann die eigentliche Besteigung begann und ein Camp nach dem anderen errichtet wurde, hörte das Buch fast auf, ein Buch zu sein, und verwandelte sich in einen fiebrigen Traum, eine Halluzination, einen Sog, in den es mich beim Lesen immer mehr hineinzog. Die Teilnehmer der Expedition wurden vor Kopfschmerzen fast blind, konnten nicht mehr essen, krümmten sich vor Magenkrämpfen, litten sogar an der Ruhr. Sie führten endlose Debatten und stritten sich. Greg McLaughlin wurde durch

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