Höhenangst
wen?« fragte ich. Beide Männer ignorierten meine Frage. Ich entzog ihnen meine Füße und stand auf.
»Sie müssen bis nächsten Samstag fertig sein«, erklärte Adam.
»Das ist doch unser Hochzeitstag.«
»Deswegen müssen sie ja bis dahin fertig sein«, antwortete er, als läge das auf der Hand. »Damit wir am Wochenende wandern gehen können.«
»Oh«, sagte ich. Ich hatte an zweitägige Flitterwochen im Bett gedacht, mit Champagner und Räucherlachs und heißen Bädern zwischen dem Sex.
Adam sah zu mir herüber.
»Am Samstag muß ich zu einem Schauklettern in den Lake District«, sagte er knapp. »Du kannst mitkommen.«
»Wie eine gute Ehefrau«, entgegnete ich. »Habe ich da auch ein Wort mitzureden?«
»Laß uns gehen, wir sind spät dran.«
»Wo müssen wir denn jetzt noch hin?«
»Das sage ich dir im Wagen.«
»In welchem Wagen?«
Adams ganzes Leben schien auf einem Tauschprinzip zu basieren. Seine Wohnung gehörte einem Freund. Unten auf der Straße parkte der Wagen eines Bekannten, den er beim Klettern kennengelernt hatte. Seine Ausrüstung war auf die Speicher und Abstellkammern mehrerer Leute verteilt. Ich fragte mich immer, wie er den Überblick darüber behielt, was wo war. Seine seltsamen Jobs bekam er, weil ihm jemand davon erzählte. Fast immer tat ihm irgend jemand einen Gefallen, um sich auf diese Weise für etwas zu revanchieren: eine Erfrierung, die Adam verhindert, eine beschwerliche Führung, die er übernommen, die Gelassenheit, die er unter besonders großem Druck bewiesen, eine gute Tat, die er während eines Unwetters vollbracht, oder ein Leben, das er gerettet hatte.
Ich versuchte, ihn nicht als Helden zu sehen. Ich wollte nicht mit einem Helden verheiratet sein. Der Gedanke machte mir angst, aber gleichzeitig erregte er mich und schuf eine subtile und erotische Distanz zwischen uns. Ich wußte, daß ich ihn mit anderen Augen betrachtete, seit ich gestern das Buch gelesen hatte. Sein Körper, der für mich noch vor vierundzwanzig Stunden hauptsächlich der Körper gewesen war, der mich vögelte, war nun zu dem Körper geworden, der Belastungen ertragen konnte, denen alle anderen nicht gewachsen waren. Seine Schönheit, die mich verführt hatte, kam mir jetzt wie ein Wunder vor. Er war in klirrender Kälte durch die dünne Luft gestolpert, attackiert von Wind und Schnee und gepeinigt von Schmerzen, und schien trotzdem keinen Schaden genommen zu haben. Nun, da ich davon wußte, sah ich hinter allem seine Verwegenheit, seinen Mut und seine Ruhe. Wenn er mich grübelnd ansah oder mich berührte, fühlte ich mich jedesmal wie das Objekt seiner Begierde, an dem er sich beweisen und das er erobern mußte. Und ich wollte erobert werden. Es war tatsächlich so. Ich wollte erstürmt und eingenommen werden. Ich genoß es, wenn er mir weh tat. Ich genoß es, gegen ihn anzukämpfen und dann klein beizugeben. Aber wie würde es hinterher sein, wenn ich erforscht und besiegt war? Was würde dann mit mir geschehen? Während wir sechs Tage vor unserer Hochzeit durch matschigen Schnee zu dem geliehenen Wagen gingen, fragte ich mich, wie ich jemals ohne Adams Obsession leben sollte.
»Da sind wir.«
Der Wagen war ein alter schwarzer Rover mit weichen Ledersitzen und einem schönen Armaturenbrett aus Walnußholz. Im Wageninnern roch es nach Zigaretten.
Adam hielt mir die Tür auf und schwang sich dann auf den Fahrersitz, als täte er das jeden Tag. Er ließ den Motor an und reihte sich in den samstäglichen Vormittagsverkehr ein.
»Wo fahren wir hin?«
»In den Peak District, westlich von Sheffield.«
»Was soll das werden? Eine Fahrt ins Blaue?«
»Ein Besuch bei meinem Vater.«
Das Haus wirkte vornehm, aber zugleich auch ziemlich trostlos, weil das Land, auf dem es stand, so flach war, daß es keinen Schutz vor dem Wind bot. Ich nehme an, es war auf eine kompromißlose Weise schön, aber an diesem Tag stand mir der Sinn eher nach Behaglichkeit als nach Strenge. Adam parkte seitlich des Hauses, neben einer Reihe von baufälligen Nebengebäuden. Große fedrige Schneeflocken schwebten langsam auf uns hernieder. Ich rechnete damit, daß uns ein bellender Hund oder ein altmodisches Faktotum begrüßen würde, aber es gab niemanden, der uns willkommen hieß. Ich hatte das beklemmende Gefühl, vor einem verlassenen Haus zu stehen.
»Erwartet er uns?« fragte ich.
»Nein.«
» Weiß er überhaupt von uns, Adam?«
»Nein, deswegen sind wir ja hier.«
Er ging zu der Doppeltür hinauf,
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