Höhenangst
tote Insekten, Fliegen und Spinnen. Ganz vorsichtig stellte ich die Flasche ab und leerte die Schüssel mit der Milch ins Spülbecken. Ich mußte mich sehr konzentrieren, um meinen Brechreiz zu unterdrücken. Erst war ich nur erschrocken, dann wurde ich wütend.
»Jemand war hier drin!« rief ich. »Es war jemand hier in der Wohnung!«
»Hmm?« fragte Adam geistesabwesend, als hätte er gerade über etwas ganz anderes nachgedacht.
»Jemand ist in unsere Wohnung eingebrochen.«
»Nein, das glaube ich nicht. Vergiß nicht, daß wir die Milch an die Haustür geliefert bekommen. Jemand hat einfach die Flaschen ausgetauscht.«
»Was sollen wir tun?« fragte ich.
»Mrs. Tallis«, sagte Adam nachdenklich. »Das Ganze ist gegen dich gerichtet. Sollen wir die Polizei verständigen?«
Mrs. Tallis, dachte ich. Mrs. Tallis. Spinnen und Fliegen.
Wer weiß, daß ich Angst vor Spinnen und Fliegen habe?
»Nein«, sagte ich laut. »Noch nicht.«
Ich fing ihn ab, als er mit seiner Aktenmappe in der Hand aus der Tür trat.
»Warum tust du mir das an? Warum?«
Er wich vor mir zurück, als wäre ich ein Straßenräuber.
»Was um alles in der Welt meinst …«
»Spar dir das Theater, Jake. Ich weiß jetzt, daß du es bist. Die ganze Zeit habe ich versucht, mir einzureden, daß es jemand anderer ist, aber jetzt weiß ich, daß nur du in Frage kommst. Wer sonst sollte wissen, daß ich Angst vor Insekten habe?«
»Alice.« Er versuchte mir die Hand auf die Schulter zu legen, aber ich schüttelte ihn ab. »Alice, beruhige dich!
Die Leute halten dich sonst für verrückt.«
»Warum zum Teufel hast du Spinnen in meine Milch getan, Jake? Sag es mir! Aus Rache?«
»Jetzt glaube ich langsam auch, daß du verrückt bist.«
»Komm schon, sag es mir! Was für Überraschungen hast du denn noch so auf Lager? Versuchst du, mich langsam in den Wahnsinn zu treiben?«
Er sah mich mit versteinerter Miene an. Ich fühlte mich plötzlich richtig mies.
»Wenn du mich fragst«, sagte er, »bist du schon wahnsinnig.«
Mit diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt und ging ruhig die Straße entlang, weg von mir.
Adam zeigte überhaupt kein Interesse, aber jedesmal, wenn ich in den nächsten Tagen an einem Zeitungsladen vorbeikam, sah ich nach, ob sie den Artikel schon gedruckt hatten. Am Samstag wurde ich dann fündig. Das Bild fiel mir sofort ins Auge. Ein kleines Foto von einem Berg, mit dem der Artikel auf der Titelseite angekündigt wurde: »Extremklettern für Einsteiger: das Geschäft mit den Bergen. Lesen Sie unseren Artikel im Kulturteil.«
Rasch zog ich die entsprechenden Seiten der Zeitung heraus, um zu sehen, was Joanna geschrieben hatte. Ihr Artikel war mehrere Seiten lang – zu lang, um ihn gleich im Laden zu lesen. Ich kaufte die Zeitung und nahm sie mit nach Hause.
Adam war nicht da, was mich ausnahmsweise einmal froh stimmte. Ich machte mir eine Kanne Kaffee. Ich wollte mich in aller Ruhe hinsetzen und dem Artikel die Zeit widmen, die er in meinen Augen verdiente. Auf der Titelseite des Kulturteils von The Participant prangte eine grandiose Aufnahme des Chungawat, die den Berg vor dem Hintergrund eines strahlend blauen Himmels zeigte.
Die Bildunterschrift las sich wie eine Anzeige in der Auslage eines Immobilienmaklers: »Himalajagipfel zu vermieten. £ 30000. Keine Erfahrung erforderlich.«
Wieder einmal war ich fasziniert von der einsamen Schönheit des Berges. War mein Adam tatsächlich schon auf diesem Gipfel gewesen? Nun ja, nicht ganz auf dem Gipfel.
Ich schlug die Zeitung auf. Vier Seiten. Der Artikel enthielt weitere Fotos, auf denen einige der Expeditionsteilnehmer abgebildet waren. Greg, Klaus und Françoise, die mit ihren schweren Bergstiefeln sehr gut aussah, wie ich mit einem Anflug von Eifersucht feststellte, und ein paar der anderen Bergsteiger, die umgekommen waren. Und natürlich Adam, aber an seine Fotos war ich inzwischen gewöhnt. Außerdem waren eine Landkarte und ein paar Diagramme abgedruckt. Ich nahm einen Schluck Kaffee und begann zu lesen.
Genauer gesagt überflog ich den Text erst einmal, bevor ich ihn tatsächlich las. Rasch ließ ich den Blick über die Zeilen gleiten, um zu sehen, welche Namen erwähnt wurden und wie oft. Von Adam war hauptsächlich im letzten Teil die Rede. Ich las den entsprechenden Abschnitt, um sicherzugehen, daß er keine überraschenden Neuigkeiten enthielt. Was tatsächlich nicht der Fall war.
Joanna hatte nur noch einmal die Geschichte erzählt, die ich
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