Höhenangst
Gefühl«, sagte ich, aber ich war mir nicht ganz sicher.
Wir lagen nebeneinander im Halbdunkel unseres Schlafzimmers. Meine Wange brannte, mein Herz hämmerte. Würde ich mich nie an ihn gewöhnen?
»Wovor hast du Angst?«
»Bitte nimm mich in den Arm.«
Durch die dünnen Vorhänge fiel das orangefarbene Licht der Straßenlampen herein. Ich konnte sein Gesicht sehen, sein schönes Gesicht. Ich wollte, daß er mich so fest und so nahe an sich drückte, daß ich mit ihm verschmolz.
»Sag mir erst, wovor du solche Angst hast.«
»Davor, dich zu verlieren. Hier, leg deine Hand hierhin.«
»Dreh dich um. Ja, so. Alles wird gut, Alice. Ich werde dich nie verlassen, und du wirst mich nie verlassen. Nein, mach die Augen nicht zu. Sieh mich an.«
Später bekamen wir Hunger, weil wir an diesem Abend noch nichts gegessen hatten. Ich stand auf, schlüpfte in Adams Hemd und ging über den kalten Dielenboden in die Küche. Im Kühlschrank fand ich etwas Parmaschinken, ein paar Pilze und ein Stück harten Käse. Nachdem ich Sherpa gefüttert hatte, die ihren kleinen Körper an meine nackten Beine schmiegte, machte ich uns aus einem nicht mehr ganz frischen, dünnen italienischen Weißbrot ein riesiges Sandwich. In unserer Einkaufskiste neben der Tür stand eine Flasche Rotwein. Ich machte sie auf. Wir aßen im Bett, unsere Kopfkissen im Rücken. Um uns herum war alles voller Brösel.
»Weißt du«, sagte ich zwischen zwei Bissen, »ich bin es einfach nicht gewöhnt, daß sich Leute so verhalten.«
»Wie verhalten?«
»Na ja, daß sich jemand für mich prügelt.«
»Der Typ hat dich geschlagen.«
»Ich habe wirklich geglaubt, du würdest ihn umbringen.«
Er schenkte mir noch ein Glas Wein ein.
»Ich war eben wütend.«
»Was du nicht sagst! Der Typ hatte ein Messer, Adam.
Hast du daran denn gar nicht gedacht?«
»Nein.« Er runzelte die Stirn. »Wäre es dir lieber gewesen, wenn ich ihn freundlich gebeten hätte aufzuhören? Oder wenn ich losgerannt wäre, um die Polizei zu holen?«
»Nein. Ja. Ich weiß es nicht.«
Seufzend ließ ich mich wieder auf mein Kissen zurücksinken, schläfrig vom Sex und vom Wein.
»Verrätst du mir etwas?«
»Vielleicht.«
»Ist oben auf dem Berg etwas vorgefallen …? Ich meine, deckst du jemanden?«
Adam wirkte weder überrascht noch verärgert. Er sah mich nicht einmal an.
»Natürlich«, antwortete er.
»Wirst du es mir irgendwann erzählen?«
»Niemand braucht davon zu wissen«, erwiderte er.
18. KAPITEL
Einen Tag, nachdem der Artikel erschienen war, ging ich hinunter, um die Post zu holen, und fand im Briefkasten einen weiteren braunen Umschlag. Er war nicht frankiert, aber auf dem Kuvert stand: AN MRS. ADAM TALLIS
Noch während ich unten vor der Haustür stand, wo der Fußabstreifer meine Fußsohlen zum Prickeln brachte, riß ich den Umschlag auf. Es war das gleiche Papier und die gleiche Schrift, wenn auch diesmal ein bißchen kleiner, weil die Nachricht länger war:
HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH ZUR VER-
MÄHLUNG, MRS. TALLIS.
GEBEN SIE AUF IHREN RÜCKEN ACHT.
PS: WARUM BRINGEN SIE IHREM GATTEN
NICHT MAL EINE TASSE TEE ANS BETT?
Ich nahm die Nachricht mit hinauf und zeigte sie Adam.
Er las sie mit finsterer Miene.
»Unser Briefschreiber weiß nicht, daß ich meinen Namen behalten habe«, sagte ich, wobei ich mich um einen lockeren Ton bemühte.
»Immerhin weiß er, daß ich im Bett bin«, meinte Adam.
»Was hat das zu bedeuten? Tee?«
Ich ging in die Küche und öffnete den Schrank. Da waren nur zwei Päckchen Tee, Kenyan für Adam, Lapsang Souchong für mich. Ich schüttete aus jedem Päckchen ein bißchen was auf die Küchentheke. Beide Tees sahen ganz normal aus. Ich bemerkte, daß Adam hinter mir stand.
»Warum soll ich dir Tee ans Bett bringen, Adam?
Könnte es etwas mit dem Bett zu tun haben? Oder mit dem Zucker?«
Adam öffnete den Kühlschrank. In der Tür standen zwei Milchflaschen, eine halb volle und eine noch verschlossene. Er nahm sie beide heraus. Ich warf einen Blick in das Schränkchen unter der Spüle und fand eine große rote Plastikschüssel. Ich nahm Adam die Flaschen aus der Hand.
»Was hast du vor?« fragte er.
Ich leerte die erste Flasche in die Schüssel.
»Sieht wie normale Milch aus«, sagte ich. Dann öffnete ich die zweite Flasche und begann sie auszugießen.
»Das ist … o Gott!«
In der Milch waren kleine dunkle Schatten zu sehen, die langsam an die Oberfläche kamen. Plötzlich schwammen auf der Milch jede Menge
Weitere Kostenlose Bücher