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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Rezept.
    »Dieses Gel hat eine betäubende Wirkung und müßte den Schmerz ein wenig lindern. Kommen Sie nächste Woche noch mal vorbei. Wenn es bis dahin nicht verheilt ist, wäre zu überlegen, ob man eine Sphinkterdehnung vornehmen soll.«
    »Was ist das?«
    »Kein Grund zur Beunruhigung. Es ist ein einfacher Eingriff, der aber unter Narkose ausgeführt werden muß.«
    »O Gott!«
    »Sie brauchen sich deswegen wirklich keine Sorgen zu machen.«
    »Na gut.«
    Sie legte ihren Stift beiseite und reichte mir das Rezept.
    »Alice, ich habe nicht vor, Ihnen eine Moralpredigt zu halten, aber behandeln Sie Ihren Körper um Gottes willen mit Respekt.«
    Ich nickte. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.
    »Sie haben Blutergüsse an der Innenseite der Oberschenkel«, fuhr sie fort. »Ebenso am Po, auf dem Rücken und an der linken Halsseite.«
    »Ihnen ist wahrscheinlich schon aufgefallen, daß ich heute einen Rollkragenpulli trage.«
    »Gibt es etwas, worüber Sie mit mir reden wollen?«
    »Es sieht schlimmer aus, als es ist, Caroline. Ich bin frisch verheiratet, und wir übertreiben es manchmal ein bißchen.«
    »Dann sollte ich Ihnen wohl gratulieren«, sagte Caroline, ohne zu lächeln.
    Als ich aufstand, zuckte ich vor Schmerz zusammen.
    »Danke«, sagte ich.
    »Alice.«
    »Ja?«
    »Gewalttätiger Sex –«
    »So ist das nicht …«
    »Ich wollte bloß sagen, daß gewalttätiger Sex sich zu einer Art Spirale entwickeln kann, aus der man nicht mehr herauskommt. So ähnlich ist das auch, wenn Männer ihre Frauen schlagen.«
    »Nein. Sie irren sich.« Ich war vor Scham und Zorn knallrot angelaufen. »Auch bei ganz normalem Sex geht es oft um Schmerz, oder etwa nicht? Und um Macht und Unterwerfung und solche Dinge.«
    »Natürlich. Aber nicht um Analfissuren.«
    »Nein.«
    »Passen Sie auf sich auf, okay?«
    »Ja.«

    21. KAPITEL
    Sie war leicht zu finden. Ich hatte auf ihren Brief gestarrt, bis meine Augen schmerzten. Ich wußte ihren Namen. Ihre Adresse prangte in schnörkeliger Schrift auf dem Briefkopf. Ich rief einfach bei der Auskunft an und fragte nach ihrer Telefonnummer. Ein paar Minuten starrte ich auf die Zahlen, die ich auf einem alten Kuvert notiert hatte, und fragte mich, ob ich sie tatsächlich anrufen würde. Was sollte ich ihr sagen? Was, wenn jemand anderer ans Telefon ging? Nachdem ich mir am Getränkeautomaten einen Plastikbecher voll Orangentee geholt hatte, zog ich die Bürotür fest hinter mir zu und setzte mich wieder an den Schreibtisch. Obwohl ich ein weiches Kissen untergelegt hatte, tat es immer noch weh.
    Ich ließ es ziemlich lang klingeln. Sie schien nicht zu Hause zu sein. Wahrscheinlich war sie in der Arbeit. Ein Teil von mir empfand so etwas wie Erleichterung.
    »Hallo.« Sie war doch zu Hause. Ich räusperte mich.
    »Hallo, spreche ich mit Michelle Stowe?«
    »Ja.«
    Sie hatte eine hohe, ziemlich dünne Stimme, die ein bißchen nach West Country klang.
    »Mein Name ist Sylvie Bushnell. Ich bin eine Kollegin von Joanna Noble. Vom Participant .«
    »Ja?« Ihre Stimme klang jetzt vorsichtig, zögernd.
    »Sie hat Ihren Brief an mich weitergeleitet, und wenn es Ihnen recht ist, würde ich mich gern mal mit Ihnen unterhalten.«
    »Ich weiß nicht«, antwortete sie. »Ich hätte den Brief nicht schreiben sollen. Ich war wütend.«

    »Wir wollen auch Ihre Seite der Geschichte hören, das ist alles.«
    Sie schwieg.
    »Michelle?« fragte ich. »Es bliebe natürlich Ihnen überlassen, wieviel Sie mir erzählen.«
    »Ich weiß nicht.«
    »Ich könnte zu Ihnen kommen.«
    »Ich möchte nicht, daß Sie etwas in der Zeitung veröffentlichen – nicht, bevor ich mein Einverständnis dazu gegeben habe.«
    »Das steht sowieso nicht zur Debatte«, erklärte ich wahrheitsgetreu.
    Sie war noch immer nicht überzeugt, aber ich bedrängte sie so lange, bis sie schließlich einwilligte. Wir vereinbarten, daß ich sie am nächsten Morgen aufsuchen würde. Sie wohnte nur fünf Minuten vom Bahnhof entfernt. Es war alles so einfach.

    Ich hatte nichts zu lesen mitgenommen. Still saß ich an meinem Platz und starrte aus dem Fenster. Jedes Holpern des Waggons ließ mich vor Schmerz zusammenzucken.
    Inzwischen hatte der Zug die letzten Häuser von London hinter sich gelassen und fuhr durch eine ländliche Gegend.
    Am Abend zuvor hatte Adam meinen ganzen Körper mit Massageöl eingerieben. Dabei war er sehr sanft gewesen und hatte die Finger zärtlich über meine Blutergüsse gleiten lassen, als wären es ruhmreiche, in

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