Hoehenrausch und Atemnot - Mein Weg auf den Kilimandscharo
die nicht mehr in die Heimat zurückkehren.
Worüber nicht geredet werden soll
Als ich aber nachfrage, wie die Opferzahlen bei den einheimischen Trägern und Bergführern aussehen, schweigt man. Schweigen bei den Tourismusoffiziellen, den Nationalparkaufsehern, Schweigen aber auch bei den Trägern und Bergführern selbst. Bald wird mir klar, dass darüber niemand mit uns reden will, weil darüber nicht geredet werden soll.
Wir fragen nach den möglichen Gründen für das Schweigen und erfahren, dass oft ja auch die ungenügende Ausrüstung der einheimischen Träger dafür verantwortlich sei, dass sie verunglücken. Manche seien auch noch wenig erfahren, dafür verwegen - oder todesmutig? Und außerdem verschwänden in der Kili-Gegend jedes Jahr einheimische Träger, die mit dem Hinweis aufbrechen, sie begleiteten eine Gruppe von Ausländern. Gehört habe man niemals wieder etwas von ihnen. Abgesetzt habe sich wohl der eine oder andere, jedenfalls ist er nie wieder aufgetaucht.
Unsere Spurensuche führt uns nach Moshi, eine Provinzstadt mit rund 200 000 Einwohnern, von der aus man bei gutem Wetter ein prächtiges Kili-Panorama in Staub und Hitze der Geschäftsstraßen
genießen kann. Eingezwängt zwischen Läden, die Textilien und Lederwaren sowie Souvenirs anbieten, finden wir einen grauen Büroeingang. Er führt zu zwei Räumen einer Hilfsorganisation für einheimische Träger, die vor ein paar Jahren auf US-amerikanische Initiative hin entstanden ist. Diese Menschen mit ihrem Tageslohn von mittlerweile sechs Dollar sollen hier zumindest ein Minimum an vernünftiger Ausrüstung für ihre Arbeit auf dem Weg zum Kili bekommen: gebrauchte Anoraks und Bergschuhe, warme Pullover und Socken, Restbestände, die ausländische Bergtouristen nach ihrem Kili-Abstieg gespendet haben.
Die zuständigen Organisatoren wissen, dass das Risiko sehr groß ist, dass Träger die ausgeliehene Ware weiterverkaufen und mit dem bisschen Geld dafür irgendwohin verschwinden. »Also müssen wir das so machen«, erzählt uns der zuständige Helfer und zieht uns in den hinteren Büroraum. »Wir lassen uns ein Pfand für die ausgeliehenen Anoraks oder festen Schuhe geben.« Er zeigt uns in verstaubten Regalfächern alte Transistorradios, Handys und einen schon sehr gebraucht aussehenden Fotoapparat. »Doch, doch« - da kämen schon Berufsanfänger, die als Träger arbeiten wollten und stellten sich hier ihre erste Ausrüstung zusammen. An dem Tag, an dem wir etwas von diesem »Geschäft« mit unserer Kamera festhalten wollen, sind »Kunden« Fehlanzeige.
Und auch die Praxis ausländischer Reiseleiter, sich vor dem Start am Marangu Gate die Ausrüstung der Träger zeigen zu lassen, zielt oft ins Leere: Da treten Einzelne in vernünftigen Bergschuhen und Anoraks an, die wir dann auf über 4000 Meter
Höhe in Badelatschen und T-Shirts vor Kälte bibbernd wiedersehen. Entweder hatten sie sich den Anorak nur kurz zum Vorzeigen bei einem Kollegen ausgeliehen, oder sie wollten ihn und die besseren Bergschuhe »schonen«. Sie lachen dabei fröhlich und meinen, es wird schon gut gehen, beim Runtergehen sei es doch schon wieder wärmer. Und wer es nicht schafft, wer beim Aufstieg auf den Kili umkommt - Schweigen.
Wir fragen bei den uns inzwischen bekannten Trägern und Guides hartnäckig weiter nach. Einer von ihnen, Jesaia, erzählt schließlich, da hinten, nur ein paar hundert Meter vom Marangu Gate, dem Zugang zum Nationalpark, entfernt, da könnten wir vielleicht mehr erfahren.
Anna und ihr Sohn
Jesaia begleitet uns die kurze Strecke zu einer kleinen Hütte mitten im Ackerland und zwischen Bananenstauden, vor der eine Frau gerade Wäsche aufhängt. Nein, darüber möchte sie nicht reden, erklärt sie auf Kisuaheli. Sie ist misstrauisch, was da Menschen aus dem fernen Europa über das Schicksal ihres Sohnes wissen wollen, wo sich doch in den vergangenen Jahren niemand, aber auch wirklich niemand für ihn und für sie interessiert habe. Während sie langsam weiter die Wäsche aufhängt, mustert sie uns, die Fremden, misstrauisch, und erst als wir uns in das übersetzte Gespräch ein wenig einmischen, mehr darüber erzählen, warum wir gerade von ihr etwas über das Leben und Sterben eines jungen Trägers am Kili erfahren wollen,
erst als sie merkt, dass die Fremden aus Europa durch die Informationen von Einheimischen etwas über die Situation der Kili-Träger weitergeben wollen, da löst sich die Anspannung allmählich. Nach einer guten Stunde
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