Hoehenrausch und Atemnot - Mein Weg auf den Kilimandscharo
Wohnhütte eintreffen. Der 54 Jahre alte Bergführer
soll sich in den kommenden Tagen mithilfe vieler einheimischer Träger um den Transport unserer Fernsehtechnik kümmern.
Wir wollen bei ihm und seiner Familie, Mitglieder des in der Kili-Region ansässigen Stammes der Chagga, mit unserer Live-Berichterstattung an diesem Montagmorgen anfangen, um so zumindest einen kleinen Einblick in das Alltagsleben eines der Menschen zu geben, für die der Kili und der Kili-Tourismus die Existenzgrundlage liefern.
Nur ein paar Minuten weit wohnt die Familie vom Marangu Gate, dem Einlass zum Kili-Nationalpark, entfernt; doch an diesem Morgen kann man kaum etwas sehen. Dicke Wolkenpakete verdüstern die Szene, der nächtliche Regen hat Garten und Acker um die Lehm- und Holzhütten herum in glitschigen Morast verwandelt. Wir, die Fernsehmacher aus Deutschland, sind nervös: Jeder hat den Arbeitsplan für diesen Tag und für die ganze Woche für sich abgespeichert - es wird eng. Zu allem Überfluss merken wir in dieser unwirtlichen Morgenstunde, dass unser Gastgeber Alex, den wir mit seiner Familie zu seinen Hoffnungen und Sorgen hinsichtlich der Zukunft befragen wollten, sich mit dem berühmt-berüchtigten tansanischen Kognak wohl kräftig Mut angetrunken hat.
Immerhin erfahren wir von ihm noch, dass die Ausbildung seiner drei Töchter - 15, 18 und 22 Jahre alt - für Mutter und Vater eine Art Lebensversicherung ist. Von der kleinen Anpflanzung um das Haus, die aus Bananen, Zuckerrohr und Kaffee besteht, bestreitet man den Alltag, eine Kuh im angebauten Stall liefert täglich zwei Liter Milch - alles andere muss Alex mit seiner
Arbeit als Führer für ausländische Bergtouristen verdienen. Wenn er einen Job bekommt, bringt ihm das mit Trinkgeldern vielleicht 70 Dollar für eine Woche Arbeit ein - und das kommt vielleicht zwölf Mal im Jahr vor. Davon muss er für die 22-jährige Joyce das Schulgeld am Moshi College bezahlen, Schulgeld brauchen auch Joyce’ jüngere Schwestern Dorcus und Upendo, die später einmal ihre Lieblingsfächer Mathematik und Medizin studieren wollen.
Angst um den Vater wegen seines harten Jobs als Kili-Bergführer hat aber niemand in der Familie. Vor sechs Jahren ist die älteste Tochter sogar schon einmal mit ihm auf den Gipfel gestiegen. Alex will noch ein paar Jahre mit seiner Arbeit am Berg weitermachen; das Thema »Kognak und Alkohol im Allgemeinen«, das Risiko für die eigene Gesundheit wird mit einem verlegenen Lachen beiseitegewischt.
Alex signalisiert uns, dass er mit diesem Problem weiterleben wird - wie viele andere, die diesen harten Job am Kili machen. Seinen eigentlich einmal gelernten Beruf als Uhrmacher - als »Techniker der Stunde«, wie er es selbst gerne nennt - hat er schon vor Langem aufgegeben; dafür gab es hier weder Bedarf noch Geld.
Wir verabschieden uns von der Chagga-Familie und ziehen mit unserer Technik und den Live-Kameras zum fünf Minuten entfernten Marangu Gate um. Hier werden wir an diesem Morgen auf unsere »deutsche Reisegruppe« mit ihrem Expeditionsleiter Hubert Schwarz treffen; mit ihnen werden wir in den nächsten Tagen Freude und Frust, Hoffnung und Verzweiflung auf der gemeinsamen Kili-Tour teilen.
Beruhigungen... und Beunruhigungen
Kurz nach neun Uhr afrikanischer Ortszeit klettern die deutschen Kili-Wanderer aus ihrem Bus; mit dabei ist auch die begleitende Ärztin Isabel. Da ein gutes Drittel der vierzehn Teilnehmer zur Gruppe »60 plus« gehört, soll sie sich um alle gesundheitlichen Probleme der Beteiligten kümmern - vom Blasenpflaster bis zur entscheidenden Frage, ob jemand umkehren muss, weil Herz und Lunge Signale geben, dass jedes Weitergehen nur noch ein unkalkulierbares Risiko wäre.
Im Mittelpunkt unserer Gespräche über Fitness und Gesundheit steht vor allem ein Thema: die Höhenkrankheit. Fünf Tage lang wird uns die bange Frage: »Packt sie mich, oder bleibe ich von ihr verschont?« begleiten. So stellt für die meisten in der Gruppe - und ich muss gestehen, auch für mich - allein die Anwesenheit einer Medizinerin eine gewisse Beruhigung dar. Und die tut gut in diesen ersten Stunden an einem feuchtkühlen afrikanischen Morgen am Marangu Gate.
Die ersten TV-Blöcke sind nach Deutschland gesendet, an einem Kili-Souvenirshop ist eine Tasse Hallo-wach-Kaffee in ziemlicher Hektik getrunken, die Packsäcke sind umgeladen - nun noch die letzte Kontrolle, ob noch etwas im eigenen Rucksack verstaut werden muss.
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