Höhlenwelt-Saga 1 - Die Bruderschaft von Yoor
dir nicht zu nahe treten, sonst nimmt man auch noch diesen Gestank des Abschaums an, von dem du umgeben bist!«
»Aber Munuel! Du wirst doch nicht...«
»Worauf du wetten kannst, du Widerling!« Er starrte den Kommandanten hasserfüllt an. »Ich gebe dir noch eine Chance! Lass diesen Gefangenen frei! Und sieh danach zu, dass du dein Lehen an einen würdigen Mann abgibst!
Wenn ich das nächste Mal nach Tulanbaar komme und du noch immer hier das Sagen hast, werde ich dich vor den Hierokratischen Rat bringen! Und dann wirst du derjenige sein, dem man den Kopf abschlägt! Hast du das verstanden?«
Lorin von Jacklor war völlig verdattert. »Aber ... wie soll ich den Leuten das erklären? Ich kann doch nicht sagen, dass er geflohen wäre! Dies ist die Festung von Tulanbaar - aus ihren Kerkern ist noch nie jemand entkommen!«
Leandra mischte sich ein. »Du kannst ja behaupten, er hätte sich in der Nacht in seiner Zelle umgebracht.
Irgendetwas wird dir schon einfallen.« Sie ließ den Kommandanten ebenfalls ihre Abscheu spüren; sie verwendete das respektlose »Du«, um dem Mann klarzumachen, dass er weniger als Luft für sie war.
Von Jacklors Augen begannen plötzlich hasserfüllt zu funkeln. »Ich...«
»Los jetzt!«, fuhr Munuel ihn an. »Wir werden uns umziehen und dann auf unsere Pferde steigen. Unten im Tal warten wir am Burgweg. Wenn der Bursche nicht in einer Stunde bei uns ist, werden wir direkt nach Savalgor zum Palast reiten - und dann kannst du nur noch beten!«
Munuel machte auf dem Absatz kehrt, nahm Leandra beim Handgelenk und führte sie mit sich. Als sie die Treppen hinaufstiegen, fragte sie: »Glaubst du, er spielt mit?«
»Ich hoffe es. Ich weiß nicht, was mit ihm ist. So wie eben habe ich ihn noch nie erlebt. Früher war er ein harter Kerl, nicht so ein Häufchen Elend. Aber vielleicht verrottet sogar sein mieser Charakter auch noch.«
Sie blickte sich beunruhigt um. Unten in der Halle standen bewaffnete Wachleute. »Vielleicht wird er versuchen, uns aus dem Weg zu räumen. Wenn er schnell handelt...«
Munuel lächelte sardonisch. »Dazu kennt er mich zu gut. Er weiß, dass ihm das nicht gelingen kann. Dazu müsste er schon seine ganze Wachgarde aufbringen. Meinst du nicht?«
Leandra maß ihn, während sie weiter hinaufliefen, von oben bis unten mit Blicken. Sie wusste, dass er auf den Kampf gegen den Dämon und seine Schattenwesen anspielte. Nein - eine Wachgarde allein würde nicht genügen. Sicher nicht.
20 ♦ Victor
E ine Dreiviertelstunde später warteten sie, auf ihren Pferden sitzend, am Fuße des Burgweges. Das Sonnenfenster über Tulanbaar glitzerte schwach im Nachtlicht, der Mond war längst schon verschwunden. Es war immer noch sehr warm. Sie standen nun vor dem Problem, für die Nacht eine Bleibe zu finden. Mitsamt diesem Victor - vorausgesetzt, der Kommandant ließ ihn tatsächlich frei - würden sie sich schlecht in Tulanbaar im Wirtshaus einmieten können. Sie konnten ihn allerdings auch ausfragen, um ihn gleich darauf ziehen lassen.
Diese Möglichkeit würde Munuel bevorzugen. Er hatte keine Lust - Magie hin oder her - heute Nacht im Freien zu übernachten.
Die Stunde war fast um, als oben auf dem Weg Reiter erschienen.
Ein Lächeln glitt über Leandras Züge. Sie war tatsächlich die Siegerin des Abends, einmal abgesehen davon, dass der Bursche mit seinem Leben davon gekommen war.
Dann waren die Reiter heran. Es waren drei - zwei Gardisten und zwischen ihnen ein Mann auf einem Pferd, der in eine dunkle Kutte mit Kapuze gekleidet war. Sie hielten kurz vor Munuel und Leandra an, lösten dem Mann die Handfesseln, drehten wortlos um und ritten davon.
Leandra hüpfte aus dem Sattel und eilte begeistert zu dem Mann auf seinem Pferd. Sie klopfte ihm aufs Bein und rief: »He! Was sagst du? Wir haben dich tatsächlich befreit!«
Keine Antwort. Der Mann saß da, die Kapuze über den gesenkten Kopf gezogen, und schwieg. Dann hörte Munuel ihn schluchzen. Er lenkte sein Pferd neben das des Ankömmlings. Er hatte zwar genug von den Verwicklungen dieser Nacht, aber er verspürte ebenfalls Mitleid. Dieser Mann hatte noch vor einer halben Stunde dem Tod entgegengesehen.
»Komm, Junge, steig erstmal ab!«, sagte er väterlich.
Er gab ihm einen kameradschaftlichen Klaps auf die Schulter. Victor rutschte wie ein nasser Sack vom Pferd und fiel in den Dreck. Leandra schrie auf - beinahe hätte er sie mit zu Boden gerissen. Munuel sprang aus dem Sattel und half dem Mann auf. Er
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