Höhlenwelt-Saga 1 - Die Bruderschaft von Yoor
vollkommen würde nachfühlen können. Nicht, solange sie so etwas nicht selbst erleben musste - wovor sie die Kräfte beschützen mochten.
Als sie über die Kuppe eines flachen Hügels hinweg geritten waren, sahen sie über einem Wäldchen den Rauch von Schornsteinen aufsteigen. Nach einer kurzen Weile erreichten sie eine Wegabzweigung, an der ein Schild die Ortschaft Lakkamor ankündigte.
Bald ritten sie in das friedliche Städtchen ein, in dem nichts, aber auch gar nichts davon kündete, dass sich im Lande immer mehr dunkle Kräfte zusammenzogen. Leandra wünschte Lakkamor, es möge hier so bleiben.
Es war eines jener kleinen Städtchen, die es mit Mühe und Not zu einem Wirtshaus, einem Krämerladen und einem Kesselflicker gebracht hatten. Alles, was an menschlichen Ansiedlungen noch weiter von den großen Städten wie Usmar, Savalgor oder Mittelweg entfernt lag, zählte hoffnungslos zum Hinterland, wo man Lebensmittel, Gebrauchsgegenstände oder Unterkunft nur bei Leuten bekam, die man kannte. Richtige Läden gab es dort nicht mehr.
Am Stadtrand verabschiedeten sie sich von Victor.
Er drückte ihnen nochmals seinen Dank aus und fragte, ob er sie vielleicht noch ein Stück begleiten sollte.
Munuel lehnte ab. Er sagte, was ihnen bevorstand, könnte sich als nicht sehr erfreulich erweisen. Er verlangte Victor noch einmal das Versprechen ab, keine Silbe über sie zu erzählen. Victor versicherte ihnen, dass jedes Wort, das er vernommen hatte, vollkommen sicher bei ihm war. Er konnte das Pferd behalten, was einen nicht unbeträchtlichen Gewinn darstellte. Wenn er es verkaufte, dann könnte er sich leicht für den Erlös all das wieder anschaffen, was er durch den Brand verloren hatte. Munuel riet ihm jedoch, er solle das Pferd erst einmal behalten. Vielleicht konnte er sich damit ein Zubrot erwerben.
Leandra und Munuel beschlossen, sich trotz ihrer knapp bemessenen Zeit für diesen Tag auszuruhen und erst morgen weiterzureiten. Sie mieteten sich im Wirtshaus ein und gönnten sich ein ausgiebiges Bad. Am frühen Abend saßen sie dann in der Wirtsstube zum Abendbrot beisammen. Wie in ländlichen Gegenden üblich, gab es deftige und wohlschmeckende Kost: Butter, Brot, Speck, Käse und Eier. Leandra hielt sich an warme Ziegenmilch, während sich Munuel Tee bringen ließ.
Der Wirt hatte zwei Söhne, die ihren Tisch mit großer Aufmerksamkeit bedachten. Die beiden überschlugen sich förmlich vor Höflichkeit und Zuvorkommnis. Leandra tauschte mit Munuel belustigte Blicke.
»Wie gehen denn die Geschäfte?«, fragte sie einen der Burschen.
»Die ... äh ... Geschäfte?«
Er war ein stämmiger Kerl um die zwanzig mit hübschem Gesicht und ordentlichen Manieren. Sein Bruder war weniger nach ihrem Geschmack - ein dürrer Junge, der scharfzüngig und flink aus dem Hintergrund heraus agierte, dabei die offene, unverkrampfte Art seines Bruders in unerfreulicher Weise als Deckung ausnutzend.
»Ja«, sagte Leandra und machte eine umfassende Geste, »die Geschäfte hier in Lakkamor. Das Städtchen liegt ein wenig abgelegen, nicht wahr? Und ich habe gehört, die Abgaben an den Lehnsherrn sind hierzulande nicht gerade gering!«
Der junge Bursche warf sich das Küchenhandtuch, das er in Händen hielt, lässig über die Schulter. Er lehnte sich mit der Hüfte an einen Tisch und verschränkte die Arme vor der breiten Brust. »Das hat eher abgenommen«, berichtete er. »Früher waren die Steuereintreiber alle vier Wochen hier und schlugen einem fast die Türen ein - was, Pitter?« Er sah sich nach seinem Bruder um, der sich einen Schritt schräg hinter ihm platziert hatte.
»Jaja, Florim. Ich denke, sie schätzen uns Lakkamorer nicht besonders. Wir sind stolz und lassen uns nicht alles gefallen.« Leandra musterte ihn. Der Kerl schien aus jedem Satz etwas herausschinden zu müssen.
»Und wie lange ist das schon so? Ich meine, dieser neue Festungskommandant ist doch erst seit einem Jahr im Amt, nicht wahr?«
»Ihr interessiert Euch für Politik?«, antwortete Pitter, der Dünne, obwohl Leandra seinen Bruder angesprochen hatte. »Ja, ungefähr seit dieser Zeit hat das nachgelassen. Der Mann scheint keinen besonderen Mumm zu haben.«
»Woher wisst Ihr von diesem Kommandanten?«, wollte Florim wissen. »Ihr seid doch gar nicht aus der Gegend?«
Munuel griff ein. »Du hast Recht, junger Mann«, sagte er barsch. »Wir sind nicht von hier. Kein Grund, sich nicht für die lokalen Gegebenheiten zu interessieren, meinst du
Weitere Kostenlose Bücher