Höhlenwelt-Saga 4 - Das magische Siegel
Dereinst, wenn die
Drakken besiegt waren!, echote es in ihrem Kopf. Es war ein
dummer Spruch, der angesichts ihrer momentanen Lage wenig
Sinn machte. Trotzdem empfand sie eine Winzigkeit Stolz. Langsam schien die Leandra in ihr zu erwachen, die sich nicht so einfach geschlagen geben wollte.
»So, Leute!«, rief der große Mann, sich plötzlich um einen kameradschaftlichen Ton bemühend. Er hatte sich vor ihnen aufgebaut, die Hände in die Seite gestemmt, seine Körperhaltung irgendwo auf halben Weg zwischen militärischer Steifheit und lockerem Gehabe. Er wirkte wie einer, der diese Aufgabe schon seit
Jahren bestritt. Erstaunlich, wie rasch sich manche Menschen auf
eine ganz neue Situation einstellen konnten.
»Willkommen in Yanaleel«, rief der Mann überflüssigerweise,
denn keiner der Gefangenen wirkte so, als läge er Wert auf einen
zynischen Gruß. »Hier wird eine neue Abbauanlage errichtet, wie
ihr seht. Die Drakken haben in der letzten Woche viele solcher
Anlagen gebaut und es fehlt an Leuten. Deswegen seid ihr hier.«
»Wie schön, dass wir helfen können!«, rief einer. »Ich kann
auch nichts dafür«, erwiderte der große Mann. Alina hatte schon
halb erwartet, dass er einen Drakken herbeiwinken und den
Schreihals abführen lassen würde. »Fügt euch ein«, rief er, »und
ihr werdet sehen, dass es hier gar nicht so schlimm ist. Ihr bekommt gutes Essen, ausreichend Schlaf und anständige Kleider.
Die Drakken haben nicht vor, uns zu vernichten. Sie brauchen
unsere Arbeitskraft und behandeln uns dafür anständig.« Nun
wagte auch Alina einen Zwischenruf. »Ich wusste nicht«, rief sie
spöttisch, »dass anständige Behandlung die Sklaverei rechtfertigt!« Der Mann warf ihr nur einen finsteren Blick zu, erwiderte
aber nichts. Dann rief er, an alle gewandt: »Los, folgt mir jetzt.
Ich zeige euch hier alles – auch eure Arbeitsplätze.« Er wandte
sich um und stapfte durch den Staub davon.
Als er auf eine breite, verschiebbare Tür aus Metall zustapfte,
die sich an der Stirnseite des vor ihnen liegenden Gebäudes befand, setzte sich die Gruppe in Bewegung.
Alina kämpfte mit sich selbst; sie wollte für all dies, was sie in
den folgenden Stunden zu sehen bekam, nichts als Hass und Verachtung empfinden, aber sie schaffte es nicht ganz. Nicht, dass
ihr gefallen hätte, was sie sah, aber sie empfand es als faszinierend, geheimnisvoll und interessant, was die Drakken hier aufbauten.
Es begann damit, dass sie nach einigen anfänglichen Korridoren
durch eine riesige Halle geführt wurden, in der hunderte von
Menschen an langen Tischen saßen oder durch die Gänge zwischen den Reihen liefen. Sie aßen, tranken oder holten sich, wie
es aussah, Nachschub. Alle waren in Weiß gekleidet, manche von
ihnen trugen Grau, ein paar wenige Ocker. Es wirkte beinahe wie
ein ausgelassenes Festgelage. Nur an den Ein- und Ausgängen
standen schwer bewaffnete Drakkenposten; einige patrouillierten
zwischen den Nischen. »Hier könnt ihr essen und eure Pausen
verbringen«, sagte der Mann. »Übrigens, ich heiße Renash. Ich
bin ab jetzt euer Vorarbeiter. Wir werden immer gemeinsam hierher gehen. Vier Stunden Arbeit, eine Stunde Pause, dann drei
Stunden Arbeit, und wieder eine Stunde Pause und zuletzt noch
mal drei Stunden Arbeit. Dann geht’s ab nach Hause.«
»Ab nach Hause?«, fragte Cleas überrascht. Renash nickte. »Ja.
Mit einem Flugschiff – in die Dörfer. Hier schläft niemand. Wer
von euch als freier Händler unterwegs war, wird irgendeinem Dorf
zugeteilt. Dort habt ihr dann zwölf Stunden frei, bis ihr wieder
abgeholt werdet.«
»Frei?«, riefen gleich mehrere im Chor. »Na ja«, räumte Renash
ein. »Ihr wisst schon – so frei, wie man halt in einem Dorf ist. Die
Drakken haben ja überall ihre Posten. Ihr könnt schlafen und
euch um eure Familien und Häuser kümmern. Dann kommt ihr
mit der nächsten Schicht wieder hierher. Verpflegt werdet ihr
hier, nur die Kinder und die Alten, die nicht hierher kommen,
kriegen Nahrung in den Dörfern. Alle zehn Arbeitstage gibt es für
jeden zwei freie Tage.«
Alina stieß einen Laut der Verblüffung aus. Was hier auf der Tagesordnung stand, war kein blutiges Zu-Tode-Schinden, sondern
offenbar ein höchst präzise ausgeführter Plan – darauf ausgelegt,
aus jedem Einzelnen einen möglichst hohen Nutzen herauszuholen. Vermutlich gab es sogar eine Krankenstation. Sie blickte sich
um: Hier in dieser Halle war niemand zerlumpt oder sah zerschunden
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