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Höhlenwelt-Saga 5 - Die Schwestern des Windes

Titel: Höhlenwelt-Saga 5 - Die Schwestern des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Evers
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weitesten Stelle über etwa fünfzig Schritt.
    In der Mitte lag eine winzige Insel. Sie maß kaum sechs oder sieben Schritt im Durchmesser; eine Gruppe übereinander getürmter, rotbrauner Felsblöcke erhob sich mitten auf ihr. Ganz oben, aus dem höchsten der Steine, sprudelte ein kleiner Quell, dessen Wasser sich in einer Kuhle sammelte und dann in einem glatten Strahl in die Tiefe plätscherte, wo es am Fuß der Felsenbrocken in einer Spalte verschwand. Offenbar speiste dieses Wasser nicht den See – oder es tat es an einer Stelle, die nicht einzusehen war.
    Jockum betrat vorsichtig den Rasen und näherte sich dem See.
    An seiner schmälsten Stelle war das Ufer von glatten, weißen und hellbraunen Kieseln gesäumt. Dort blieb er stehen.
    »Der Cambrische Quell«, flüsterte er ehrfurchtsvoll. »Es heißt, seine Wasser kämen aus dem Nirgendwo und flossen auch wieder dorthin zurück.«
    »Und was tun wir hier?«, flüsterte Munuel zurück.
    Bevor er antworten konnte, deutete Marina mit aufgerissenen Augen auf den See. »Wasser, das bergauf fließt!«
    Hochmeister Jockum lächelte und nickte. Er starrte ebenfalls auf den See, auf die stille, unberührte Wasserfläche. Dort spiegelte sich das Inselchen mit dem Cambrischen Quell und erzeugte den Eindruck, als strömte das Wasser bergauf.
    Munuel stieß ein ungläubiges Lachen aus. »Eine Spiegelung? Ist es das, was ihr seht?«
    »Ja, mein Bester. Hast du hier einmal zur Abendstunde gestanden?« Er deutete in die Höhe.
    »Wenn die Sonnenfenster rötlich werden? Leider sind wir heute zu früh.«
    Munuel nickte. »Ich weiß, was du meinst. Die Felsen des Cambrischen Quells. Sie sind von feinen Quarzit-Adern durchzogen und leuchten zuweilen abends, wenn die Lichtverhältnisse stimmen.
    Und wo sind die... Tanzenden Steine?«
    Jockum bückte sich, hob einen der weißen Kiesel auf und drückte ihn Munuel in die Hand. »Sie sind alle flach, ist dir das einmal aufgefallen?«, fragte er.
    Munuel wendete den Kiesel in der Hand und nickte.
    Jockum hatte inzwischen einen Weiteren aufgehoben.
    Er beugte sich ein wenig hinab, holte aus und schleuderte den Stein in flachem Winkel auf die Wasserfläche. Der sprang über das Wasser und versank schließlich ein Stück links von der kleinen Insel. »Nennt man das nicht einen Stein tanzen lassen?«, fragte er.
    Munuel grinste breit. »Ich gratuliere dir, mein Freund«, sagte er. »Eine echte Intelligenzleistung! Du hast mich überzeugt. Hier muss Phenros sein Bild Natur und Welt versteckt haben. Weißt du etwa auch schon, wo es ist?«
    Jockum schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht.
    Aber wir finden es, verlass dich drauf!«
    ***
    Der Alte war nicht viel mehr als ein Häufchen vertrocknetes Laub.
    Vorsichtig kroch Rasnor auf Knien an ihn heran; der Raum war zu niedrig, um darin aufrecht stehen zu können. Den Kerzenleuchter stellte er ab, ehe er ganz heran war, denn er sah, dass der Alte, der im Schneidersitz auf einem Strohlager saß, die Augen zusammenkniff.
    Noch nie hatte Rasnor einen lebendigen Menschen mit so vielen Falten gesehen. Sein braunfleckiges Gesicht wies nicht mal eine einzige halbwegs glatte Stelle von der Größe eines Kupferfolints auf; das dünne weißgraue Haar hing ihm bis zu den Hüften herab, ebenso der Bart. Der Alte trug nur einen braunen Lumpen, an mehreren eingerissenen Stellen konnte man die faltige Haut seines Leibes erkennen – ein Körper, so dünn und flüchtig wie uraltes Papier. Er saß auf einem Häuflein Stroh. Am Geruch war leicht zu erkennen, dass er sich nicht erhob, wenn er seine Notdurft verrichtete. Rasnor war es ein Rätsel, wie dieses Gespenst von einem Menschen überhaupt noch leben konnte. Oder sollte ich besser fragen: warum?, dachte er. Langsam entspannten sich die Züge des Alten, seine Augen schienen sich an die Helligkeit gewöhnt zu haben. Die Augenlider öffnete er jedoch nicht. Gebeugt saß er auf seinem Lager, und seine strichdünnen Lippen bewegten sich leise, wie in einem stillen Gebet.
    »Alter?«, flüsterte Rasnor. »Hörst du mich?« Keine Antwort.
    Die faltige Miene des Wächters schien zu einem ewig währenden, spöttischen Grinsen erstarrt zu sein. Seine Lippen bewegten sich weiterhin. »Alter?«, wiederholte Rasnor. »Wächter? Hörst du auf diesen Namen?«
    Es dauerte eine ganze Weile, dann kam eine Antwort, eine leise, zischelnde Stimme, wie von einer Schlange. »Hast du ihn gesehen?«
    Rasnor erschauerte. Er wusste sofort, von wem der Alte sprach.
    Eine von leisen

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