Höhlenwelt-Saga 6 - Die Mauer des Schweigens
will.«
Roscoe erwiderte nichts und zeigte nur eine gleichmütige Miene.
Leandra studierte die kantigen Züge des Ajhan, den kahlen, etwas kantigen Schädel, die Riechorgane, die sich als verdeckte
Schlitze entlang der Wangenknochen zogen. Ajhan waren so anders und doch so vertraut. »Wollt Ihr mir ebenfalls sagen, Exzellenz, dass Ihr mich für sonderlich haltet? Wollt Ihr mich von meinem Vorhaben abbringen?«
»Du willst die Drakken ausspionieren, mein Kind. Und du willst
herausfinden, wer der Pusmoh ist. Das ist der verrückteste Plan,
den jemand nur haben kann.«
»Verrückt? Das sagt Ihr mir? Als einer von… hundertfünfzig Milliarden, die sich seit Ewigkeiten von diesem Pusmoh und seinen
Drakken herumschubsen lassen? Von einer Macht, über die Ihr
nicht das Geringste wisst?«
Ain:Ain’Qua lachte spöttisch auf. »Du besitzt ein gesundes
Selbstbewusstsein, junge Dame – dass du die Stirn hast, dich
unter einer solchen Masse von Leuten als die einzige normal Denkende zu sehen!« Leandra verschränkte trotzig die Arme vor der
Brust. »Stimmt das etwa nicht?«
Die Blicke der drei Männer suchten und fanden sich – heimlich,
aus den Augenwinkeln heraus, sich gegenseitig abschätzend.
Schließlich brach Roscoe das Schweigen.
»Ich habe eben mitgelacht«, erklärte er steif, »weil ich von
Leandras Schlagfertigkeit überrascht war. Aber was den Inhalt
ihrer Worte angeht: da hat sie Recht. Schlicht und einfach
Recht.« Er ballte angriffslustig die Fäuste. »Wenn wir uns das
gefallen lassen, und zwar seit über dreieinhalbtausend Jahren –
seit der Pusmoh dieses Sternenreich zwangsgegründet hat –,
dann sind wir wirklich verrückt!«
Ain:Ain’Qua sagte nichts. Seine Blicke wanderten zwischen Roscoe und Leandra hin und her. Überraschenderweise nickte er
schließlich. Beinahe flüsternd sagte er: »Ja. Ich denke, ihr habt
wirklich Recht, ihr beiden Querköpfe. Ihr habt Recht.«
Leandra lehnte sich ein bisschen vor, die Arme aber noch immer
vor der Brust verschränkt. Überraschung stand auf ihren Zügen.
»Wirklich? Das glaubt Ihr?«
Ain:Ain’Qua maß sie mit einem scharfen Blick, antwortete aber
nicht. Der kleine, rundliche Bruder Giacomo, geduldig neben dem
Tisch stehend, zeigte nur ein verlegenes Lächeln.
Leandra beschloss, Ain:Ain’Qua und den restlichen Milliarden
etwas entgegenzukommen. Sie lehnte sich wieder zurück und
meinte: »Nun ja, es ist nicht leicht, sich gegen diese brutalen
Drakken zu wehren. In der Höhlenwelt haben wir das schließlich
auch zu spüren bekommen.«
»Aber ihr habt sie besiegt!«, rief Roscoe aus und schlug mit der
flachen Hand auf den Tisch.
Sie zuckte unschuldig mit den Schultern. »Ja, das ist wahr.«
Mit wildem Blick und geballten Fäusten sah Roscoe Ain:Ain’Qua
an. »Dann können wir das auch!«
»So? Und wie willst du das anstellen, mein Sohn?« Roscoe setzte ein spitzbübisches Grinsen auf. »Leandra und ich – wir haben
mächtige Freunde. Zum Beispiel Euch, Exzellenz.
Weswegen seid Ihr hier?« Wieder schwieg Ain:Ain’Qua eine
Weile, dann sah er zu Bruder Giacomo. In der Hand hielt er schon
die ganze Zeit über ein kleines ovales Gerät, auf dem er mit dem
Daumen etwas eintippte. Als er die Blicke Ain:Ain’Quas bemerkte,
schüttelte er den Kopf.
»Nichts, Heiliger Vater.«
Ain:Ain’Qua nickte zufrieden und wandte sich wieder Leandra
und Roscoe zu. »Ich möchte nicht, dass ihr beide mich missversteht. Ich bin ein Mann des Glaubens und nehme meine Berufung
ernst. Ich fühle mich verpflichtet, euch zu helfen, da ich glaube,
dass ihr auf der richtigen Seite steht und euch gegen etwas erhebt, das falsch ist. Es steht kein persönliches Motiv dahinter,
kein Gewinn.«
»Ihr wollt uns… helfen, Exzellenz?«
»Ja, Leandra. Da du dich wohl kaum mehr davon abbringen lassen wirst, deine Suche nach den Geheimnissen der Drakken und
des Pusmoh zu beginnen, dachte ich, dass wir zusammenarbeiten
könnten. Ohne Unterstützung ist die Sache für euch beide allein
zu schwierig und zu gefährlich. Für mich und für die Kirche hingegen wird es Zeit, das Geheimnis des Pusmoh aufzudecken, mit
dem er sich seit Jahrtausenden umgibt. Denn alles entwickelt sich
seit Jahrhunderten oder, besser, seit Jahrtausenden in eine Sackgasse hinein. In den letzten Jahrzehnten verdichtet es sich im
besonderen Maße. Nun, da ihr beiden aufgetaucht seid, ich meine
dich, Leandra, und diesen Kardinal Lakorta, fangen die Dinge an,
sich rasant zu bewegen. Das macht mir Angst. Ich
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