Höllen-Mädchen
schaute sie an. »Nimm dein Häubchen und den Schleier ab, Rose«, bat er sie.
Ein Hauch von Rosenrot legte sich auf ihre Wangen, da sein Wunsch sie ganz verlegen machte. »Tu es selbst«, flüsterte sie ihm zu.
Er trat einen Schritt vor und nahm ihr in einer galanten Bewegung das herzförmige Spitzenhäubchen und den durchsichtigen Brautschleier vom Kopf. Mit geschickten Fingern öffnete er ihre Haarnadeln – Haarnadeln, an deren oberen Enden jeweils ein lebender Frosch saß, der mit Gold- und Diamantstaub bestreut war. Er war angenehm überrascht, als ihr Haar wie ein silberner Wasserfall bis unter ihre Hüften herabfiel.
»Du bist ein bezauberndes Mädchen«, raunte er ihr zärtlich ins Ohr. »Dein Haar gleicht ganz den Rosenblüten.« Seine Hände glitten durch ihre duftenden Haare. »Rose von Roogna, ich glaube, die Zeit ist gekommen, unsere Hochzeit mit einem Kuß zu besiegeln.«
Er grub seine Hände in ihr Haar und zog ihr Gesicht zu sich heran. In seinen Augen glänzten fliegende Störche, daß sie meinte, tief in seine Seele zu blicken. Dann schloß er die Augen und küßte sie.
Glühende Blutlava schoß aus einem Vulkan der Liebe durch ihre Adern. Sie erstarrte vor Glück, denn sie wollte, daß das Gefühl niemals aufhörte. Sie liebte Humfrey, ihren Mann, und würde es immer tun.
Wie von Ferne drang das Plätschern kleiner Wellen an ihr Ohr, das zu einem Klatschen der Brandung auf harten Felsen anschwoll und schließlich in das Brüllen einer sturmgepeitschten See überging. Nein, es war nicht ihr Herz, das sie hörte – es war der Applaus der Hochzeitsgäste. Damit war die Ehe besiegelt.
Bald war alles vorbei. Die Dämonen waren längst gegangen, als der Morgen graute. Rose stand auf dem Festungswall des Schlosses Roogna und sah auf die verwilderten Gärten hinab. Nicht eine Kleinigkeit des Vortages wollte sie missen: natürlich nicht die Hochzeit, nicht den Empfang und auch nicht das Bankett; nicht einmal den Tanz unter dem Mond des Kommenden Kindes und auch nicht die Liebesnacht, als sie beide nach vielen Störchen riefen. Ihre Bemühungen erfüllten sich nur zum Teil, wie sich herausstellte: nur ein Storch kehrte neun Monate später bei ihnen ein. Dieser brachte Rosetta Bliss Humfrey, mit Kosenamen Roy, deren Talent darin bestand, unbeseelten Dingen eine Zeitlang Leben zu schenken. Aber das war Zukunftsmusik – ein wunderschöner Tag brach gerade eben an. Der Himmel breitete sich in den Farben eines schillernden Pfauenschwanzes aus, türkisblau, golden und kupfern. Eine warme Brise strich vom Hohen C und von den Verlorenen Schlüsseln herab. Alles war vollkommen schön.
Sie betrachtete sich in ihrem kleinen Spiegel. Romantisch wie sie war, wurde ihr ganz weich ums Herz. Eine erfahrene Frau, die über die Bräuche der Erwachsenenverschwörung Bescheid wußte, erblickte sie nicht! Vielmehr schaute sie auf ein Mädchen, dessen jungfräuliche Unbedarftheit an der Nasenspitze abzulesen war. Vielleicht dauerte es noch, ehe sie einen wissenden Eindruck vermitteln konnte.
Sie ging in ihren Rosengarten, den sie ungern verließ. Hier im Schloß verfiel er nicht, so wie auch sie während ihres Aufenthalts nicht gealtert war. Rose mußte natürlich fortziehen und ihrem Ehemann folgen; der Erhaltungszauber blieb aber zurück. Keine Reue war in ihr. Wie konnte sie denn richtig leben, wenn sie nicht älter wurde? Sie wollte mit Humfrey alt werden.
Im Rosengarten durchstreifte sie ihre Mädchenträume: die Blütenblätter auf den Wegen, die dornigen Rosenhecken und auch den verwehten Blütenstaub. Unter den Rosen lagen glitzernde Kiesel und winzige Edelsteine. Über allem lag das Spruchband, das ihre Eheschließung dokumentierte, und… Ach!… ein langer Pfennigfüßler mit vielen Beinen schlängelte sich zwischen den Sträuchern hindurch. Da er harmlos war, nicht schädlich wie die größeren Nickelfüßler, beließ sie ihn hier im Garten. Außerdem pflegte er Schädlinge zu jagen, die ihre Rosen befielen.
Ein Schatten legte sich auf sie. Humfrey kam. »Vor dem Schloß wartet ein magischer Teppich auf uns«, erklärte er. »Wir können jetzt gehen, meine geliebte Frau.«
Einen allerletzten Blick warf sie auf ihre Rosen, deren Pracht wahre Liebe prüfen konnte, eine Prüfung, die bei Humfrey nie erforderlich gewesen war. »Warte noch… das Spruchband. Es liegt hier verborgen bei meinen Lieblingsrosen. Wenn mir nicht bestimmt ist, hier zu bleiben…«
»Nimm es doch mit«, lächelte er. »Die
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