Höllenfracht
schätzte, daß der Bomber tatsächlich wohl dreihundert Meter hoch über dem Schiff flog - das international erlaubte Minimum. Trotz der relativ ruhigen Turboprops schnitt das Dröhnen des Bombers im Überflug doch kräftig durch das Geheul des Sturmes. Es schien den Sturm vor sich herzutreiben und ihn noch zu verstärken.
»Cochon«, rief Marceaux, aber der Flugzeuglärm verschluckte diese Unfreundlichkeit mühelos. Gleich darauf stieg der Bomber hoch und verschwand wieder in den grauen Wolken. Marceaux wartete noch eine Weile, bis er sicher war, daß die Maschine endgültig verschwunden war, dann tappte er vorsichtig und langsam über das vereiste Deck bis zur Mittschiffluke und in die warme Geborgenheit unter Deck. Ganze Eisblätter fielen von seinem Ölzeug, als er die Jacke aufknöpfte und sie in einem Spind im Mannschaftsraum verstaute. Als er sich aus seinen Pelzjacken schälte, kam der Schiffsmaat vorbei und tippte ihm auf die Schulter.
»Intel«, sagte er, »alles stehen und liegen lassen.«
»Mann, ich bin halb erfroren. Ich war da oben -«
»Intel!« wiederholte der Maat hinter ihm. »Auf der verdammten Zwei.«
Marceaux ging mürrisch an der Kombüse und deren verlok-
kendem Duft nach heißem Kaffee vorbei zum Laderaum.
Die Nachrichtenzentrale des als Fischerboot getarnten Aufklärers befand sich in dem einstigen Lade- und Fischverarbeitungsraum. Im vorderen Fünftel waren der Tarnung halber sogar noch immer Geräte und Werkzeuge zum Ausnehmen und Einfrieren von Fischen
verblieben, auch wenn sie längst nicht mehr funktionierten. Im Intelligence -Bereich dagegen herrschte ein wahres Durcheinander von elektronischen Sensoren, Radios, Karten, Computern - und humorlosen Männern.
In der Tür kam ihm der Chef der Nachrichtenabteilung, Commander Markham, entgegen. Er hatte eine dampfende Tasse Kaffee in der Hand.
»Na, Marceaux?«
Markham konnte deutlich sehen, daß Marceaux mit seinen Gedanken woanders war. Er reichte dem alten Seemann den Kaffee.
Marceaux stürzte das heiße Getränk in einem einzigen gierigen Schluck hinunter, und sein Mund stieß dampfende Atemwölkchen aus.
»So. Also, nun erzählen Sie mal. Und dann füllen Sie den Berichtsbogen über Feindkontakt aus.«
»Merci, Commander, ›Bär-F‹, Anti-Schiffs-Raketen, Zahlen waren keine auszumachen. Zwei Radarnasen, eine nach vorn, eine nach achtern. Beobachtungsstände mittbords und hinten. Ob bemannt, war jedoch nicht zu erkennen. Luke für K-7-Kamera im Rumpf unten offen. Auftankvorrichtung stark vereist. Nicht zu gebrauchen, würde ich sagen. Insgesamt zwölf AS-12-Raketen, je sechs pro Tragfläche.
Möglicherweise Platz für je zwei weitere an jedem Trägerpylon.
Bombenschacht zu, aber nicht verschlossen. Tragflächen voller Eis.
Der Pilot hatte tres grands bouettes , würde ich sagen.«
»Höhe? Geschwindigkeit?«
»Tausend Fuß. Er überflog unseren Bug. Geschwindigkeit zweihundert Knoten, Landeklappen nicht geöffnet. Er flog niedrig und langsam.«
»Er hat eine Warnung durchgegeben«, sagte Markham. »Wir seien zu nahe an der Insel Karanginskij.«
Marceaux zuckte mit den Schultern. »Dieser Warnung könnte er natürlich Nachdruck verleihen. Definitivement.«
»Seine AS-12 würden ins Meer fallen, wenn er sie abschießen würde«, meinte Markham auf dem Weg zu der kleinen Kombüse der Nachrichtenabteilung, um noch einmal Kaffee zu holen. »Er könnte uns natürlich auch seine Marine schicken, aber das bezweifle ich -
bei diesem schlimmsten Sauwetter, das ich hier draußen je erlebt habe.«
»Kurvt er noch immer rum, Sir?« fragte Marceaux.
»Nein. Er ist eiligst auf Heimatkurs gegangen. Wahrscheinlich ist er schon ziemlich vereist. Wie Sie gesagt haben, er muß ohnehin schon Riesenmumm gehabt haben, um hier draußen in diesem Eisregen herumzusausen.«
»Meinen Sie, die haben uns erkannt?«
»Na klar. Sie haben uns schon vor Tagen als Spionageschiff ausgemacht«, sagte Markham und schenkte sich einen Becher Kaffee ein. »Aber wegen irgendwas sind sie besonders nervös. Einen ›Bär‹
so ein Risiko eingehen zu lassen ... irgendwas ist los ...«
Während sich auch Marceaux einen neuen Becher Kaffee eingoß, ging Markham hinüber zu den Bildschirmen eines der Radartechniker. Dieser beobachtete mehrere Oszillogramme vor sich.
Markhams Aufmerksamkeit richtete sich auf zwei Zehn-Inch-
Signalbildschirme, vor denen ein grauhaariger Marine-
Radartechniker saß. Markham sah ihm über die Schulter und nippte an
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