Höllenjagd
Bell.
»Nach dem Güterfahrplan der Southern Pacific sollte er hier stehen«, antwortete Curtis. »Ich habe die Bewegungen der firmeneigenen Güterwaggons überprüft. Waggon 16173 ist nicht mehr in den Frachtlisten der Southern Pacific verzeichnet. Keiner weiß, was mit ihm passiert ist. Es ist, als wäre er über Nacht verschwunden.«
Bell betrachtete die Wände des Waggons, der längsseits am Verladekai stand. »Er könnte überstrichen und mit einer anderen Seriennummer versehen worden sein.«
»Das ist durchaus möglich.« Curtis blickte auf die Nummer und nickte dann. »Waggon 16455. Ich werde das überprüfen.«
»Dieser Waggon hier hat erst kürzlich einen neuen Anstrich bekommen«, sagte Bell langsam. »Kein einziger Kratzer ist zu sehen.«
»Sie haben recht«, murmelte Curtis nachdenklich. »Als käme er gerade erst aus der Fertigungshalle.«
Bell ging zur Schiebetür des Waggons und legte die Finger um ein Messingschloss. »Warum sollte ein leerer Waggon auf einem Abstellgleis abgeschlossen sein?«
»Vielleicht ist er ja beladen und soll an einen Zug angekoppelt werden.«
»Ich wüsste gerne, was drin ist«, sagte Bell.
»Sollen wir ihn aufbrechen?«, fragte Curtis voller Vorfreude.
Bell schüttelte leicht den Kopf. »Vorerst sollten wir lieber darauf verzichten. Solange wir die Seriennummer nicht überprüft haben, wissen wir nichts über den Waggon. Und sollte er Cromwell gehören, wird er es erkennen, wenn wir uns am Schloss zu schaffen machen.«
»Wenn wir beweisen könnten, dass dies der Güterwaggon ist, mit dem er vom Ort seiner Verbrechen floh, könnten wir ihn festnehmen.«
»So einfach ist das nicht. Womöglich ist es nur ein Waggon, der eine Zeitlang auf dieses Abstellgleis geschoben wurde. Cromwell ist kein Dummkopf. Er würde keine Beweismittel einfach herumstehen lassen, bis sie irgendwann gefunden werden. Es kann gut sein, dass nichts Belastendes drin ist. Bestimmt nicht genug, um ihn an den Galgen zu bringen.«
Curtis begriff und zuckte mit den Schultern. »Wir werden ihn auf jeden Fall genau im Auge behalten. Ich bezweifle, dass Cromwell ihn bald benutzen wird, falls überhaupt, wenn man berücksichtigt, dass er in Telluride um ein Haar erwischt worden wäre.«
»Und früher oder später wird er feststellen, dass ich immer noch am Leben bin. Und erfahren, dass ich ihn erkannt habe«, fügte Bell mit breitem Grinsen hinzu. »Dann wird er bestimmt etwas Interessantes tun.«
Marion legte den Hörer auf und blickte zur Tür von Cromwells Büro. Wie üblich war sie geschlossen. Er arbeitete fast immer allein und erledigte das Tagesgeschäft per Telefon oder über eine Sprechanlage, die er in der ganzen Bank installiert hatte.
Sie blickte hinauf zur großen Seth-Thomas-Wanduhr, deren Pendel hin- und herschwang. Die Zeiger wiesen auf arabische Ziffern und standen auf drei Minuten vor zwölf. Als sie nach dem Telefonat mit Bronson den Hörer auflegte, war sie hin und her gerissen zwischen ihrer Loyalität zu Cromwell - und ob sie ihm von dem Anruf erzählen sollte - und der wachsenden Erregung, die sie bei dem Gedanken befiel, etwas Geheimes zu tun. Und da war eine deutliche Kluft, die zwischen ihr und Cromwell im Laufe des letzten Jahres entstanden war, besonders seit dem Abend an der Barbary Coast, wo er und Margaret sich so merkwürdig benommen hatten. Seitdem verspürte sie ihm gegenüber weniger Loyalität und Respekt. Er war nicht mehr derselbe Mann, dem sie über so viele Jahre hinweg vertraut hatte. Er hatte sich sehr häufig distanziert und überheblich, kalt und unfreundlich ihr gegenüber verhalten.
Als der Minutenzeiger auf den Stundenzeiger sprang, nahm sie ihre Tasche, setzte ihren Hut auf und verließ das Büro, wobei sie die ganze Zeit ein Auge auf die geschlossene Tür zu Cromwells Büro hatte. Sie ging am Aufzug vorbei und lief die Treppe hinunter in die Eingangshalle. Nachdem sie durch die große Tür hinaus auf die Straße getreten war, eilte sie die Sutter Street entlang in Richtung Montgomery. Die Straßen und Gehsteige waren um die Mittagszeit recht belebt, und sie brauchte gute zehn Minuten, um sich durch die Menschenmengen hindurchzuschlängeln. Als sie die Ecke erreichte, blieb sie stehen und blickte um sich, konnte aber niemanden ausmachen, der in ihre Richtung schaute oder auf sie zukam. Sie war Bronson noch nie begegnet und hatte keine Ahnung, wie er aussah.
Kurz darauf richtete sich ihre Aufmerksamkeit - und nicht nur ihre - auf einen großen roten
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