Höllenknecht
Abenddämmerung fiel durch die großen Kirchenfenster. Von draußen war Lärm zu hören. Immer und immer wieder klopften Leute ans Pfarrhaus, ohne, dass ihnen aufgetan wurde. Pater Nau saß in der ersten Reihe der Kirche, blickte auf den Altar und zuckte jedes Mal leicht zusammen, wenn wieder jemand an der Pfarrtür klopfte. Einmal hörte er Gustelies, die laut sagte: «Zum hundertsten Mal. Der Pater nimmt heute keine Teufelsaustreibungen vor.Und morgen könnt Ihr Euch in die Reihe derjenigen einreihen, die aus demselben Grund hier vorstellig werden. Ihr seid bei Gott nämlich nicht der Erste. Den ganzen Tag geht der Türklopfer schon.»
Pater Nau wurde es nicht besser, als er das hörte. Er hielt eine Flasche mit Wein im Schoß. Jetzt hob er sie an, stieß damit in Richtung Altar und sagte so laut, dass es im Kirchenschiff hallte: «Prost, Herr.» Er setzte die Flasche an, nahm einige gierige Schlucke, rülpste und wischte sich mit dem Ärmel der Soutane die feuchten Lippen ab. «Hick», machte er dann, rülpste noch einmal und warf dem Heiland am Kreuz einen enttäuschten Blick zu. «Und jetzt, hick?», fragte er ihn nach einer Weile. «Was soll ich jetzt tun?»
Der Heiland antwortete nicht, und auch die Gottesmutter hüllte sich in Schweigen.
«Ich habe gesagt, dass es keinen Teufel gibt, Herr. Und wenn, dass du, Herr, Teufel und Gott in einem bist. Man kann also den Teufel nicht austreiben. Ja, Herr, hick, das habe ich gesagt.»
Er hielt die Flasche hoch, um zu sehen, wie viel noch drin war, trank den Rest. Dann stand er auf, taumelte zur Sakristei und machte sich am Messwein zu schaffen. Mit Mühe löste er das Siegel und brach die Flasche an. «Auf dein Wohl, Herr.»
Er hielt die Flasche wie einen Säugling über dem Taufbecken und torkelte zurück in die erste Reihe der Kirchenbank.
«Jetzt haben wir den Salat, Herr. Ich brauche einen Teufel. Ohne Teufel macht alles keinen Sinn. Aber wenn du allmächtig bist, müsstest du, Herr, den Teufel besiegen können. Warum tust du es nicht? Weil du den Teufel brauchst, Herr, um deine Macht über die Menschen zu erhalten?»
Er nahm noch einen Schluck, wischte sich wieder mit der Soutane über die feuchten Lippen. Dann sah er auf das Kreuz, und Tränen stiegen ihm in die Augen. «Wenn die Welt so ist, wie ich glaube, Herr, dann darf der Teufel seine Sünden nicht bereuen. Aber das Teuflischste, was der Teufel tun kann, wäre doch, dass er seine Sünden bereut. Oder, Herr?»
Er trat aus der Bank und sank auf die Knie. Die Flasche barg er mit der übertriebenen Vorsicht eines Betrunkenen behutsam unter der Kirchenbank, dann betete er. Dabei liefen ihm dicke Tränen über die Wangen.
«Wo steckt dieser Mann jetzt nur wieder?» Gustelies verlor langsam die Geduld. «Die Besessenen stehen in Sechserreihen vor der Tür, aber der Pater ist abgetaucht.» Sie eilte durch das ganze Haus, riss eine Tür nach der anderen auf, doch den Pater fand sie nicht.
«Wenigstens ist der Junge jetzt wieder bei seiner Mutter», murmelte sie vor sich hin, doch wenn sie ehrlich war, musste Gustelies zugeben, dass sie Josef vermisste. Seit heute Morgen war der Junge wieder zu Hause. Seine Mutter war gesund und gut erholt, die Bürger davon überzeugt, dass der Teufel ausgetrieben war oder wenigstens auf dem besten Wege dorthin.
Sie seufzte. Und Hella wurde und wurde nicht schwanger. Gustelies seufzte wieder und streckte dann das Kreuz durch. Das Leben war, wie es war. Oder, um mit der heiligen Hildegard zu sprechen: Kein Mensch würde seine Zither so schlagen, dass ihre Saiten sprangen.
Aber wo war der Pater? Gustelies nahm ihr Umschlagtuch vom Haken, schlang es um die Schultern und ging über den Hof durch den Hintereingang in die Sakristei.
Es war inzwischen dunkel, nur neben dem Altar brannte das Ewige Licht.
In der Tür, die in die Apsis führte, blieb sie stehen und lauschte. Es war ganz still, nicht einmal eine Kirchenmaus war zu hören. Sie wollte sich gerade umdrehen, als sie ein Schluchzen hörte. Sie blieb stehen und lauschte in die Dunkelheit. «Bernhard?», rief sie. «Bernhard, bist du das?»
Sie trat einige Schritte in den Altarraum. Hier entdeckte sie endlich ihren Bruder, der vor dem Antlitz des Herrn kniete und gotterbärmlich weinte.
«Um Gottes willen, was ist denn?», fragte sie, ließ sich neben ihm zu Boden gleiten. «Was ist? Rede mit mir!»
Pater Nau schüttelte den Kopf, dann wischte er mit dem Ärmel seiner Soutane die Tränen von der Wange. «Es ist
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