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Hoellennacht

Hoellennacht

Titel: Hoellennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Leather
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Monaten.«
    » Und er verlässt es nie?«
    » Das ist ja der Sinn eines Pentagramms«, antwortete sie. » Wenn man es verlässt, ist man ohne Schutz.«
    » Aber ich begreife nicht, warum er dort bleiben muss. Wovor hat er Angst?«
    » Ich bin mir sicher, dass es eine Menge gibt, was Sie nicht begreifen, Mr. Nightingale«, sagte sie. Sie zeigte auf das Badezimmer. » Bitte, ziehen Sie sich um, dann geleiten wir Sie hinaus.«
    Nightingale ging ins Bad. Er zog seinen Bademantel aus und hängte ihn auf einen der Haken neben der Tür. Als er sein Spiegelbild in dem raumhohen Spiegel sah, zog er instinktiv den Bauch ein. Er stand seinem Spiegelbild gegenüber, den Kopf schief gelegt, und lächelte sich an. » Nicht schlecht für einen Zweiunddreißigjährigen«, sagte er. Er war nicht mehr so fit wie zu der Zeit, als er in der CO 19, der bewaffneten Einheit der Metropolitan Police, Dienst getan hatte. Das Training war streng gewesen, ein niemals endender Prozess. Fitness war ein Muss gewesen, und so hatte er dreimal pro Woche Polizeisport getrieben und war regelmäßig joggen gegangen. Seit seinem Weggang von der Polizei trainierte er nicht mehr, aber wenn man bedachte, wie viel er trank und rauchte, war sein Körper noch immer gut in Form. Er klopfte sich auf die Bauchmuskeln. Ein Waschbrettbauch war das nicht mehr, aber ein Bierbauch war es auch nicht. Und er hatte noch immer sein eigenes Haar und seine eigenen Zähne. Aber eines hatte er ganz bestimmt nicht, nämlich ein eintätowiertes Pentagramm.
    Er drehte sich um und sah über seine linke Schulter und dann über die rechte. Keine Tätowierung auf dem Rücken. Aber das wusste er schon. Er kannte jeden Zentimeter seines Körpers, und er hatte dort nie ein Pentagramm oder etwas dergleichen gesehen. Und auch keine seiner Freundinnen hatte je so etwas entdeckt– ein Pentagramm-Tattoo wäre nicht unerwähnt geblieben. Als er sich so von hinten betrachtete, kam ihm ein Gedanke, bei dem er erst lächeln musste, dann aber die Stirn runzelte. Es gab gewisse Teile des eigenen Körpers, die man niemals anschaute und wo auch sonst keiner hinsah. Er legte eine Hand auf jede Pobacke und zog sie langsam auseinander. Er konnte nicht viel sehen, und so versuchte er es mit gespreizten Beinen und dem Kopf zwischen den Knien. Der Druck auf seine Brust war so groß, dass er kaum atmen konnte. Es war keine Tätowierung da, aber das hatte er auch nicht erwartet. Als er sich aufrichtete, sah er das Lämpchen der auf ihn gerichteten Überwachungskamera blinken. Er zwinkerte der Kamera zu. » Ich schau nur mal nach«, sagte er.
    Nightingale zog Kleider und Schuhe an und verließ das Badezimmer. Sylvia und die beiden Leibwächter erwarteten ihn. Sie brachten ihn nach draußen und die Treppe hinunter zu seinem MGB . Er versuchte, Sylvia in ein Gespräch zu verwickeln, aber sie versuchte nicht einmal mehr, höflich zu sein. In ihrem Gesicht lag ein Ausdruck vollkommener Verachtung, der keinen Zweifel ließ, dass sie seinen Auftritt als Schlangenmensch auf ihrem Bildschirm beobachtet hatte.
    Nightingale stieg in seinen Wagen und ließ den Motor an. Er winkte Sylvia im Losfahren freundlich zu, aber sie starrte ihn nur gleichgültig an, die Augen so kalt und undurchdringlich wie die Sonnenbrillen ihrer Kollegen.
    Er fuhr zur Straße. Die Torflügel öffneten sich bereits. Er fuhr hindurch und bog rechts ab. Im Rückspiegel beobachtete er, wie das Tor sich hinter ihm schloss. Seine Hände zitterten, und er umklammerte das Lenkrad, aber das Beben wurde dadurch nicht besser. Zwei Meilen weiter hielt er auf dem Parkplatz eines Pubs, stieg aus und steckte sich eine Zigarette an. Ein Stück weiter lag ein Fluss, und Nightingale stieg zu ihm hinunter. Rauchend sah er zu, wie das Wasser vorbeiplätscherte. Der Wind strich durch die Bäume am anderen Flussufer, und sie schwankten wie langsam tanzende Liebende. In diesem Moment begriff Nightingale zum ersten Mal, dass er eines Tages sterben würde, dass die Sonne noch immer scheinen, der Fluss noch immer fließen und der Wind noch immer durch die Bäume wehen würde, aber dass er dann nicht mehr da wäre, um es zu sehen oder zu fühlen.
    Er versuchte, Rauchringe zu blasen, aber der Wind verwehte sie, bevor sie seine Lippen verließen. Der Rauchring war eine gute Analogie für das Leben, dachte er, oder eine Metapher. Der Unterschied zwischen beiden Begriffen war ihm nicht ganz klar. Jenny würde es wissen– er würde sie bei ihrer nächsten Begegnung

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