Höllensog
unebene Stellen, und das Boot wäre auf der Erde gelandet. Bis zum Wasser waren es nur ein paar Schritte. Die Männer trugen das Boot gemeinsam hin. Sie kämpften sich durch den Schilfgürtel, sie sackten in dem Schlamm ein, dessen Oberfläche trocken und bröselig war, dann kriegten sie nasse Füße und sahen, wie die Wellen gegen das Ufer anrollten.
Die Sonne brannte ihnen auf den Rücken und den Nacken. Wasser verdunstete, so daß dicht über der Oberfläche ein leichter Dunst schwamm. Die Luft zitterte, der Himmel zeigte eine schwammige Bläue, und in der Ferne waren einige wenige Wolken zu sehen. Suko sprang als letzter in den schwankenden Kahn, in dem Wladimir schon seinen Platz auf der brüchig aussehenden Ruderbank gefunden hatte. Sie stießen sich ab und ruderten los.
Suko hatte sich bisher keine Gedanken über die Ausmaße des Gewässers gemacht. Jetzt kam er nicht daran vorbei und mußte feststellen, daß er das gegenüberliegende Ufer nicht sah. Das Gewässer war doch größer, als er angenommen hatte. Da sie losgefahren waren, um Spuren zu finden, würden sie schon Glück haben müssen, um überhaupt etwas zu entdecken. Darüber sprach er mit Golenkow, der ihm zustimmte und sich dann über seinen Pessimismus wunderte.
»Nein, ich bin nicht pessimistisch, Wladimir, aber wonach suchen wir hier überhaupt?«
»Nach einem abgestürzten Kometen.«
»In der Tiefe des Sees.«
»Ja.«
»Der wird sich wie ein Geschoß zuerst in das Wasser und dann in den Grund hineingebohrt haben. Wenn wir irgendwelche Hinweise finden, müssen wir schon Glück haben.«
»Und was war mit dem Sog?« Golenkow schaute Suko fordernd an.
»Wie meinst du?«
»Der Sog hat Menschen und Tiere erwischt. Er hat sie geholt. Er wird sie nicht aufgelöst haben, also müssen sie irgendwo zu finden sein.«
»Hier im Wasser?«
»Keine Ahnung. Jedenfalls glaube ich, nach allem, was vorgefallen ist, daß sie nicht ertrunken sind. Ich rechne eher damit, daß man sie gefangenhält.«
»Meinst du?«
Suko winkte ab und sie ruderten weiter.
Sie hatten den mit Schilf und anderen Pflanzen gefüllten Uferbereich verlassen. Da der Wind eingeschlafen war, kam ihnen die Wasserfläche manchmal vor wie ein glatter Spiegel, auf dem die Strahlen der Sonne zusätzlich blanke Flächen hinterlassen hatten. Hinzu kam der Dunst, der über dem Wasser schwebte. Es wurde unerträglich. Trotz des Wassers kam sich Suko vor wie in einer Wüste.
Ihnen rann der Schweiß über die Gesichter. Aus schmalen Augen starrten sie gegen die Oberfläche, immer nach Spuren oder Hinweisen für den Absturz suchend.
Sie sahen nichts.
Zudem waren sie allein auf dem See, und Suko erkundigte sich bei Wladimir nach anderen Ansiedlungen in unmittelbarer Nähe des Gewässers.
»Soviel ich weiß, gibt es keine weiteren. Die sind weiter weg vom See. Ich glaube nicht mal, daß sie in anderen Dörfern mitbekommen haben, was in Szwalzin geschehen ist.«
»Und das Militär?«
»Wie meinst du das?«
»Nun ja, wir bewegen uns hier nicht weit von der Grenze zur Ukraine entfernt. Hier wird doch viel kontrolliert, auch über Radar, nehme ich mal an.«
Golenkow nickte. »Ich habe mich erkundigt, Suko, du hast recht. Es wird kontrolliert, aber auf den Schirmen war nichts zu sehen, was zur Besorgnis Anlaß gegeben hätte.«
»Dann wurde der Komet nicht registriert?«
»Zumindest nicht offiziell.«
»Das ist auch keine Lösung.«
»Weiß ich selbst, aber was willst du machen?«
»Wahrscheinlich nicht viel.«
»Eben, Towaritsch, das ist Rußland. Denk an den alten Schlendrian. Er steckt immer noch in den Menschen, und du wirst ihn auch so schnell nicht wieder fortbekommen.«
»Das befürchte ich auch.«
Sie ruderten weiter. Suko konzentrierte sich sehr oft auf die Oberfläche.
An manchen Stellen war sie ziemlich klar, und so konnte er in die Tiefe schauen. Den direkten Grund allerdings sah er nicht. Da verschwammen die Umrisse in seinem dunklen Grün oder Braun. Sie mischten sich zu einer regelrechten Soße zusammen.
Hin und wieder erschienen Fische. Sie umkreisten das Boot, sprangen sogar mal aus dem Wasser, rissen die Mäuler auf, als wollten sie nach Luft schnappen, dabei waren sie auf der Suche nach Insekten.
Das Ufer, von dem aus die beiden Männer gestartet waren, zerfloß immer mehr vor ihren Augen. Die Konturen lösten sich auf. Dunst und Sonnenlicht vermischten sich zu einer milchigen Brühe. Fremde Geräusche drangen nicht bis zu ihnen. Um sie herum schwamm die Stille.
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