Höllental: Psychothriller
Gebäudes. In einigen Fenstern dort oben brannte noch Licht, doch die Menschen würden ihn hier unten im Dunkeln nicht sehen, selbst wenn sie zufällig aus dem Fenster blickten.
Schreien! Er musste schreien!
Aber sein Gegner war bereits hinter ihm her, er brauchte die Luft zum Laufen. Bernd gab alles, trotzdem hatte er den Eindruck, nicht wirklich voranzukommen. Er fühlte sich wie in einem Traum, in dem er über eine Straße lief, deren Asphalt sich in eine zähe Masse verwandelt hatte. Seine Füße sanken immer tiefer ein und blieben schließlich stecken.
Vor seinen Augen verschwamm alles.
Weiter, weiter!, schrie er sich in Gedanken zu.
Er hörte das Geräusch des Knüppels, der durch die Luft sauste.
Diesmal traf er seinen Hinterkopf.
Augsburg
Vergangenheit
M ein Mädchen hat die falschen Freunde, dagegen muss ich etwas unternehmen. Ihr selbst ist es gar nicht bewusst. Sie ist naiv, sieht in den anderen stets zuerst das Gute und ist nicht in der Lage, hinter die menschliche Fassade zu blicken. Ich habe es häufiger getan, als mir lieb ist. Ich habe mit Menschen gesprochen, verhandelt, mit ihnen im Staub gelegen, gekämpft, gefleht, gebettelt und habe sie getötet, wenn es nötig war. Wenn es jemanden gibt, der die Menschen so sieht, wie sie wirklich sind, dann bin ich es. Deshalb erkannte ich auch sofort, wie besonders mein Mädchen ist.
Ich kann nicht aufhören, darüber nachzudenken, ob es wirklich nur ein Zufall gewesen ist, der uns zusammengeführt hat. Das ist so wahrscheinlich wie eine Asteroidenkollision mit der Erde. Viel lieber will ich an die Macht des Schicksals glauben. Daran, dass die Sterne, die schon ganz andere Menschen zusammengeführt haben, auch uns zueinanderführten.
»Vor einem Himmel ist es sie, die ich bemerk …«
Immer wieder muss ich an die Strophe dieses Liedes denken. Ich kenne nicht einmal den Interpreten, aber der Text hat sich mir eingeprägt, lange bevor ich mein Mädchen fand. Ist auch dies ein Zeichen des Schicksals?
Durch diesen Text kann ich viel besser verstehen, warum sie mich jetzt noch nicht richtig sieht, warum es Grenzen gibt, die zunächst überwunden werden müssen. Immerhin berühren sich hier zwei Welten. In früheren Zeiten wäre es absolut unmöglich gewesen, diese Barrieren zu überwinden, auch jemand wie ich wäre wohl daran gescheitert. Heute aber ist es möglich. Heute kann man alles ändern.
Und ich werde es ändern.
Ich spüre, wie der Telefonhörer immer schwerer wird in meiner Hand. Er hat ein Gewicht inne, welches ihm nicht zusteht, denn es fließt direkt aus meinem Körper hinein und sammelt sich dort, je länger ich warte.
Ich weiß genau, was ich ihr sagen will, und ich weiß genau, dass meine Stimme versagen wird, sobald ich die ihre höre. Ich will aber nicht am anderen Ende der Leitung hängen wie ein stummer Idiot, der ihr nur noch mehr Angst macht.
Konzentrieren. Ich muss mich konzentrieren.
Ihre Nummer ist schnell eingetippt. Während ich den Hörer an mein Ohr presse, spüre ich meinen Puls in ungesunde Höhen schießen. Mir bricht der Schweiß aus. Mein gesamter Körper reagiert auf die Erwartung, endlich ihre Stimme wiederzuhören.
»Waider.«
Ahhh, so wunderschön. Verschlafen, verletzlich und unglaublich zart.
»Hallo?«
Ich will etwas sagen. Die Worte stapeln sich auf meiner Zunge, stolpern übereinander, werden unaussprechlich. Was ich herausbringe, klingt mehr nach einem tierischen Stöhnen als nach einer Liebeserklärung.
»Hör zu, du perverses Schwein«, schreit sie in den Hörer. Die Anmut und Verletzlichkeit sind verschwunden. Ihre Stimme ist laut, aber sie zittert, ich spüre die Angst darin.
»Wenn du mich nicht in Ruhe lässt, dann hetze ich dir die Polizei auf den Hals.«
Dann beendet sie das Gespräch, das keines war.
Zitternd und schwitzend sitze ich da und starre den Hörer an. Er ist keinen Deut leichter geworden, fühlt sich jetzt sogar heiß an, genauso wie mein Ohr, an das ich ihn gepresst hatte.
Ich bin ein verfluchter Idiot.
Statt ihr zu helfen, habe ich ihre Angst nur noch geschürt. In diesem Moment sitzt sie in ihrem Bett, allein, einsam, fürchtet sich und sehnt sich nach einer starken Schulter zum Anlehnen. Ich kann sie ihr bieten, aber ich habe es versaut. Ihre Worte kann ich ihr nicht übel nehmen. Wie hätte ich denn reagiert, wenn mich mitternächtlich jemand angerufen und wie ein Hornochse ins Telefon gestöhnt hätte. Ich wäre ausgeflippt vor Wut. Insofern war ihre Reaktion noch
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