Hoffnung am Horizont (German Edition)
in einer Predigt von Patrick gelesen hatte: Alkohol gab mit einer Hand und raubte mit zwei Händen.
Sie suchte sich einen Platz zwischen zwei Männern an der Bar, wo sie ganz in der Nähe des Barkeepers stand. Die Männer rückten zur Seite, musterten sie aber ungeniert. Mit diesem Blick, den Männer hatten, wenn sie sich vorstellten, wie eine Frau unbekleidet aussah. So hatte es Sadie formuliert. Annabelle erinnerte sich an den Abend, an dem Sadie das leise und mit ihrem typischen Akzent zum ersten Mal gesagt hatte, und wusste noch, wie alle anderen Mädchen gelacht hatten. Diese Erinnerung verstärkte ihre Entschlossenheit, das Kind zu finden.
Der Mann rechts neben Annabelle sah sie erwartungsvoll an. Sie kannte diesen Blick. Er lächelte und öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber als er ihre finstere Miene sah, schwand seine Hoffnung dahin. Er rückte von ihr ab.
„Wen suchen Sie?“ Der Barkeeper hatte sich vor ihr aufgebaut und seine muskulösen Arme breit auf die Theke gestützt.
Annabelle widerstand dem Drang zurückzuweichen, da sie wusste, dass sie jede Spur von Schwäche teuer zu stehen käme. Dieser Mann war nicht nur kräftig, er war ein Muskelpaket. Die Whiskeyflasche in seiner rechten Hand sah winzig aus, und seine dicken Finger bedeckten die ganze untere Hälfte der Flasche. Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie diese Hände aussahen, wenn sie zu Fäusten geballt waren. Er war bestimmt nicht davon angetan, wenn man mit ihm spielte, und sie hatte nicht die Absicht, das auszuprobieren.
„Ein junges Mädchen. Sie könnte in den letzten fünf oder sechs Monaten hier durchgekommen sein.“
„Viele junge Mädchen kommen hier durch.“ Er nahm ein Glas, schenkte einen Schuss ein und schob es ihr hin.
Sie schüttelte den Kopf. „An dieses Mädchen würden Sie sich erinnern. Lange, dunkle Haare, olivbraune Haut, mandelförmige Augen. Exotisches Aussehen.“
„Wenn Sie jung sagen …“
„Sie ist fünfzehn. Aber sie sieht älter aus.“
Sein Blick wanderte suchend hinter sie und dann wieder zu ihr zurück. „Sie sind allein gekommen.“
Der Blick in seinen Augen ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Sie musste ihm keine Antwort geben, denn es war keine Frage gewesen. Sie ging im Geiste ihre Schritte zur Tür zurück und wusste ganz genau, dass sie den Saloon ohne die Einwilligung dieses Mannes nicht wieder verlassen würde. Sie dachte an Matthew, der ahnungslos im Lager schlief, und bereute jetzt, dass sie ihm nicht anvertraut hatte, wohin sie ging. Natürlich wäre er nicht einverstanden gewesen, wenn er erfahren hätte, was sie vorhatte. Einen solchen Ort würde er nie im Leben freiwillig betreten.
„Wer schickt Sie?“
Er weiß etwas. Sie antwortete schnell: „Ich bin allein gekommen.“ Wenn sie zögerte, würde sie den falschen Eindruck vermitteln. „Das Mädchen heißt Sadie. Sie ist noch ein Kind. Und sie ist meine Freundin“, fügte sie in der Hoffnung hinzu, dass sie ihn mit ihrer Ehrlichkeit zu einer größeren Offenheit bewegen könnte.
Sein Blick wanderte über ihr Gesicht, ihren Hals, ihre Brust. Annabelle wurde steif.
„Komm mit mir ins Hinterzimmer. Fünf Minuten.“
Sie schüttelte den Kopf. „Sie haben mich falsch ver…“
„Ich habe gesagt: fünf Minuten.“ In einer geschmeidigen Bewegung leerte er das Glas, das vor ihr stand, und knallte es laut neben ihrer Hand wieder auf die Theke. „Ohne Wenn und Aber.“
Mit einer schnellen Kopfbewegung deutete er zur Tür hinten an der Seite. Annabelle fühlte, wie ein zentnerschweres Gewicht in ihrem Magen landete. Er beobachtete ihre Hand, die auf der Thekenkante lag. Sie zitterte.
„Warte da drinnen auf mich.“ Ein dunkles Funkeln trat in seine Augen. Als er nach dem Whiskeyglas griff, streifte er ihre Hand und drückte sie ganz leicht. Dann drehte er sich um, aber ihr war die kaum merkliche Veränderung in seiner Miene nicht entgangen. Wenigstens glaubte sie, dass sie etwas gesehen hatte. Es geschah aber so schnell, dass sie sich nicht sicher war.
Mit pochendem Herzen ließ sie ihren Blick durch den vollen Raum schweifen. Der hohe Lärmpegel, vermischt mit dem Zigarrenrauch, der ihr das Atmen schwer machte, erdrückte sie fast. Hatte sie diesen Mann richtig verstanden? Wenn ja, dann war sie bei ihrer Suche nach Sadie einen Schritt weitergekommen. Wenn nicht … Oh, Gott, wenn nicht …
Sie sah wieder zur Bar. Er schenkte sich aus derselben Flasche noch ein Glas ein, kippte es hinunter und blickte
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